Die Sitzungen im Juni 2010

Die Sitzungen im Juni 2010

 

Aus dem Landtag vom 17.6.2010

 

Zwei Debatten um Gleichstellungsthemen verwirren FDP-Mann

Die Fraktion der FDP ist ein reiner Männerverein. Deshalb ist auch ein Mann für frauenpolitische Themen zuständig: Oliver Möllenstädt.

Auf der heutigen Tagesordnung standen zwei Gleichstellungsthemen hintereinander: der "Bericht über die Umsetzung des Landesgleichstellungsgesetzes" und der "3. Fortschrittsbericht zur Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Bremischen Verwaltung". Dabei sorgte Möllenstädt für einerseits viele Zwischenrufe, andererseits für Heiterkeit: Er hatte seine Redemanuskripte für die beiden Tagesordnungspunkte verwechselt, es aber nicht gemerkt.

 

Obduktionspflicht bei Kindestod?

Mit ethischen und rechtlichen Bedenken behaftet: Mit der Änderung des "Gesetzes über das Leichenwesen" lag zur Beschlussfassung in erster Lesung die Einführung einer Obduktionspflicht bei Tod von Kleinkindern vor. Die Gesetzesänderung, so begründet der Senat das Gesetz, erfolge in erster Linie im Zusammenhang mit den Bestrebungen zur Verbesserung des Kindeswohls. Vorrangiges Ziel der Einführung einer Obduktionspflicht für vor Vollendung des 6. Lebensjahres verstorbene Kinder in den Fällen, in denen eine Todesursache nicht erkennbar oder nicht zweifelsfrei bekannt ist, sei – mit der Ergänzung der äußeren durch eine innere Leichenschau – der Schutz von Geschwisterkindern und möglichen zukünftigen Geschwisterkindern. Diese Kinder wären, wenn eine Gewalteinwirkung bei dem verstorbenen Kind festgestellt wird, ebenfalls hochgradig gefährdet.

Doris Hoch, gesundheitspolitische Sprecherin, erläuterte: "Seit der Befassung der Gesundheitsdeputation mit der Gesetzesänderung gab es in Bremen, aber auch in anderen Bundesländern eine breite Debatte über die zukünftige Obduktionspflicht von Kindern. Was sind die Gründe dafür, diese Gesetzesänderung zu machen? Die Problematik ist, dass tödliche Schädigungen auch bei einer sorgfältigen äußeren Leichenschau bei kleinen Kindern nicht immer erkannt werden können. Hier ist beispielhaft das Schütteltrauma zu nennen."

Die große öffentliche Debatte bei diesem sensiblen Thema zeigt, dass abgewogen werden muss: Werden Grundrechte verletzt, nämlich das Recht des verstorbenen Kindes auf Schutz der Menschenwürde oder das Recht der Angehörigen auf Totenfürsorge? Werden mit diesem Gesetz die Eltern unter Generalverdacht gestellt? Reichen die bestehenden rechtlichen Regelungen nicht doch aus?

"Bei den vielen Stellungnahmen, die mich erreicht haben, haben sich die meisten für die Obduktionspflicht ausgesprochen", so Hoch. "Trotzdem wollen wir die Argumente noch einmal zusammentragen und Gegnern und Befürwortern die Möglichkeit geben, sich zu äußern. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf in erster Lesung formal zustimmen und ihn in den Rechtsausschuss überweisen."

 

Rot-Grüne Koalition beschließt zweites Hochschulreformgesetz

"Ich freue mich, dass wir hier heute das zweite Hochschulreformgesetz beschließen werden", eröffnete Silvia Schön, für Wissenschaft und Hochschulen zuständig, ihren Redebeitrag, "und damit ein modernes und innovatives Reformwerk auf den Weg bringt, über das wir mehr als zwei Jahre in der Koalition diskutiert haben und alle Fürs und Widers mit den Hochschulen abgewogen haben."

Die wesentlichen Punkte sind bereits in den Berichten der April-Sitzungen aufgeführt.

Zwischen der ersten und zweiten Lesung hatte sich der Wissenschaftsausschuss mit dem Gesetz befasst. Dort war auch Gelegenheit, Änderungsanträge zu stellen und zu beraten, was CDU und FDP auch nutzten. Die Fraktion DIE LINKE hingegen legte erst nach der abschließenden Ausschussbefassung sechs umfangreiche Änderungsanträge vor, auf die Silvia Schön in der Debatte einging.

"Es ist schade, dass die Linke weder an der Ausschussberatung teilgenommen hat noch dem Ausschuss ihre Anträge zur Beratung zur Verfügung gestellt hat. Dass sie jetzt erst drei Tage vor der abschließenden Beratung mit sechs Anträgen kommen, in denen Sie grundsätzliche Dinge beschließen wollen, zeigt mir nur, dass Sie an einer ernsthaften parlamentarischen Meinungsbildung kein Interesse haben. Sie wollen lediglich, dass Ihre politischen Botschaften, die Sie in den Antragsüberschriften zusammengefasst haben, hier abgelehnt werden. Das ist offenbar für Ihre politische Arbeit sinnvoller, als sich in der Sache im Ausschuss auseinanderzusetzen."

"Wir werden Ihre Anträge ablehnen, weil

  • ein allgemeines politisches Mandat leider rechtlich nicht möglich ist, wenn man die Zwangsmitgliedschaft beibehalten will;
  • gegenwärtig alle Bachelor-Studierenden im Master weiterstudieren können, der Antrag also überflüssig ist. Eine Benotung wollen wir per Gesetz nicht ausschließen, denn unbenotet wird faktisch als ›4‹ gewertet. Das bedeutet Nachteile für Studierende bei der Bewerbung an einer anderen Hochschule oder um einen Arbeitsplatz;
  • wir tarifliche Vereinbarungen nicht politisch festlegen wollen, dafür gibt es ja Tarifpartner;
  • mehr Mitspracherechte für Studierende wollen wir auch, nur die Instrumente, die Sie vorschlagen, sind verfassungsrechtlich nicht möglich;
  • und über Rüstungsforschung können wir uns gerne im Ausschuss unterhalten. Da gibt es ein großes Interesse auch von unserer Seite. Aber dann nennen Sie Ross und Reiter. Ich lade dann gerne ein."

Die grüne Bürgerschaftsfraktion hatte im November 2009 anlässlich des zehnten Jahrestags Bologna-Prozess ein Positionspapier veröffentlicht, dort sind sechs Punkte aufgeführt, wo wir Nachbesserungsbedarf sehen bzw. gesehen haben.

 

Europapolitisches Jugendkonzept für Bremen

Die Europäische Union hat in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Jugendpolitik deutlich verstärkt. Bis 2013 werden ca. 900 Mio. Euro bereitgestellt, um gemeinnützige Vereine, Jugendgruppen und andere Organisationen zu unterstützen. Die Schwerpunkte liegen dabei auf den Bereichen Jugendaustausch, Förderung der Mobilität und Projekten der partizipativen Demokratie.

Die Jugendlichen sollen dazu motiviert werden, ihre Rolle als Bürgerinnen und Bürger Europas wahrzunehmen. Europa soll kein abstraktes Gebilde bleiben, sondern mittels grenzüberschreitender Begegnungen und des Aufzeigens von Teilhabemöglichkeiten einen selbstverständlichen Teil des Alltags bilden. Dabei ist es wichtig, diese Bemühungen in allen relevanten Handlungsfeldern aufeinander abzustimmen. Erfolgreiche Programme wie Erasmus und Leonardo oder der europäische Freiwilligendienst haben schon tausenden junger Frauen und Männer Aufenthalte in Europa ermöglicht. Die Teilhabe und Förderung aller Jugendlichen unabhängig von Herkunft und Geldbeutel muss dabei stets als Grundsatz gelten. Außerdem soll allen Jugendlichen der Zugang zu europapolitischen Jugendprojekten im Sinne des Strukturierten Dialogs mit der Jugend ermöglicht und solche durch Politik und Verwaltung aktiv unterstützt werden.

Hamburg hat im Februar 2010 ein europapolitisches Jugendkonzept vorgelegt. Dieses richtet sich sowohl an Jugendliche und Multiplikatoren als auch an die allgemeine Öffentlichkeit und dient nicht zuletzt den verantwortlichen Behörden um die interne Abstimmung und Kommunikation zu verbessern. Ein solches Konzept würde auch für Bremen Vorteile hinsichtlich der verwaltungsinternen Koordinierung und Öffentlichkeitsarbeit bieten. Das Land Bremen kann damit noch besser junge Frauen und Männer an Europa heranführen und seinen Beitrag zu einer am Bürger/an der Bürgerin orientierten Europäischen Union leisten.

Mustafa Oztürk, jugendpolitischer Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion: "Aus grüner Sicht bedeutet Jugendpartizipation auch, dass die Auffassungen von Jugendlichen ernst genommen und so weit wie möglich berücksichtigt werden. Das fordern wir auch in unserem rot-grünen Antrag. Um das Interesse unter den Jugendlichen an europäischen Themen zu wecken, gilt es auch, Europa für Jugendliche als politische, wirtschaftliche und soziale Realität in ihrem Lebensumfeld erfahrbar zu machen. Gerade junge Menschen müssen und sollen motiviert und auch unterstützt werden, wenn es darum geht, sich nicht nur Wissen und Kompetenzen in Bezug auf Europa anzueignen, sondern auch die Chancen und Möglichkeiten der europäischen Einigung für ihren Lebensalltag und ihre Lebensgestaltung aktiv zu nutzen. Für uns Grüne ist ein weiterer Aspekt des europapolitischen Jugendkonzepts von großer Bedeutung, nämlich der integrative Ansatz, der auf die Gleichstellung von Mädchen und Jungen sowie von behinderten und nichtbehinderten Jugendlichen abzielt."

 

Bremer Entschließung zur Strategie "Europa 2020"

Die Europäische Kommission hat im März 2010 den Entwurf einer Anschlussstrategie zur auslaufenden Lissabon-Strategie vorgelegt: "Europa 2020", die heute in Brüssel beraten und beschlossen wird. Sie will damit eine "Vision der europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts" entwerfen. Die Kommission schlägt darin drei sich gegenseitig verstärkende Prioritäten vor: Intelligentes Wachstum, nachhaltiges Wachstum und integratives Wachstum. Zur Umsetzung werden fünf (auch quantitative) Kernziele definiert, so soll bis 2020 in der EU die Beschäftigungsquote von aktuell 69% auf 75% gesteigert werden, die Treibhausgase sollen um mind. 20% reduziert werden, die Schulabbrecherquote soll von derzeit 15% auf 10% gesenkt und 20 Millionen Menschen weniger sollen 2020 unter der Armutsgrenze leben.

Hermann Kuhn, europapolitischer Sprecher, machte gleich zu Beginn deutlich: "Dies wird weitreichende Folgen für die Politik der EU haben; für die Schwerpunkte des Haushalts, auch für das Volumen und die Ausrichtung der europäischen Programme, an denen Bremen existenzielles Interesse hat: Strukturpolitik, Forschungspolitik, Umwelt- und Klimaschutz. Wegen der herausragenden Bedeutung dieses Dokuments haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, der die politische Haltung der Freien Hansestadt Bremen gegenüber ›Europa 2020‹ formulieren will und den Senat auffordert, auf dieser Linie weiterhin aktiv für Bremen in Europa tätig zu werden." Kuhn hob in seiner Rede zwei Punkte hervor:

Die Lissabon-Strategie war zu einseitig auf das Ziel des Wachstums an sich ausgerichtet, ohne Inhalte damit zu verknüpfen. In der Strategie "Europa 2020" bestimmt die Kommission die Ziele und Inhalte des Wachstums und schlägt drei sich gegenseitig verstärkende Prioritäten vor: intelligentes Wachstum als Entwicklung einer auf Wissen und Innovation gestützten Wirtschaft; nachhaltiges Wachstum als Förderung einer ressourcenschonenden, ökologischeren und wettbewerbsfähigeren Wirtschaft; integratives Wachstum als Förderung einer Wirtschaft mit hoher Beschäftigung und ausgeprägtem sozialen und territorialen Zusammenhalt.

"Das heißt", so Kuhn, "die Europäische Union macht sich damit im Grundsatz die Idee des ›Green New Deal‹ zu eigen: dass der Schlüssel zur Zukunft der europäischen Ökonomie darin liegt, dass wir unsere Umwelt schützen und wettbewerbsfähig werden durch Ressourcenschonung, Klimaschutz und Spitzen-Umwelttechnologie. Und es heißt, dass die EU sich zur Grundidee einer modernen sozialen Marktwirtschaft bekennt: dass sozialer Zusammenhalt die Ökonomie nicht hemmt, sondern eine mächtige Ressource auch der Zukunftsfähigkeit sein kann. Diese Linie von ›Europa 2020‹ unterstützen wir Grünen nachdrücklich und werden dafür eintreten, dass sie nicht nur Programm bleibt."

Der zweite Punkt: Die entscheidende Schwäche der Lissabon-Strategie war, dass ihre Instrumente zu unverbindlich waren. Die zentrale Lehre aus der gegenwärtigen Staatsschulden- und Währungskrise ist aber, dass mehr gemeinsame Politik nötig ist. Die nationalen Regierungen müssen sich in die Karten gucken lassen, Eurostat muss mehr Macht bekommen, der Stabilitätspakt muss strikter werden; mit der Harmonisierung auch der Unternehmensteuern muss begonnen werden. Und es ist sehr sinnvoll, sich gemeinsame, auch quantitative Ziele zu setzen, auch für die soziale Lage und die Bildungschancen der jungen Menschen.

Hermann Kuhn: "Wie das am Ende im Einzelnen aussehen und ob darüber das Wort ›Wirtschaftsregierung‹ stehen wird, darüber wird noch debattiert werden, Uns ist wichtig, dass Bremen sich an dieser Diskussion offensiv beteiligt und nicht denkt, allein den Vorgarten schützen zu können, wenn die Erde bebt."

 

Aus dem Landtag vom 16.6. 2010

 

Bremer 2-Euro-Münze sichert eine Stimme mehr für Gauck

Bei der Wahl der Bremer Mitglieder für die Bundesversammlung zur Wahl des neuen Bundespräsidenten kam es zu einem Losentscheid über die endgültige Verteilung zwischen dem Wahlvorschlag von SPD, Grünen, der FDP und dem Abgeordneten Möhle (Zählgemeinschaft) und dem Wahlvorschlag der CDU. Schuld daran waren sechs ungültige Stimmzettel.

Für das Losen zwischen den Fraktionsvorsitzenden Röwekamp (CDU) und Tschöpe (SPD) nutzte Präsident Weber eine 2-Euro-Münze mit dem Motiv des Bremer Rathauses auf der Rückseite. Tschöpe wählte das Rathaus, und die Münze fiel für ihn.

Damit kam der Wahlvorschlag der Zählgemeinschaft zum Zuge, nach Berlin fahren also Bürgermeister Jens Böhrnsen, die SPD-Abgeordnete Sibylle Böschen, Tim Weber vom Verein "Mehr Demokratie" (grüner Vorschlag), der FDP-Abgeordnete Oliver Möllenstädt und schließlich Thomas Röwekamp.

Mit dem Zusammenschluss in eine Zählgemeinschaft sorgten die Koalitionsfraktionen mit der FDP und dem parteilosen Abgeordneten Klaus Möhle dafür, dass der CDU ein eigentlich ihr zustehender Sitz in der Bundesversammlung weggenommen wurde. Damit werden aus Bremen vier Stimmen auf den Kandidaten Joachim Gauck fallen.

 

"Tricksen, täuschen, schönrechnen" – Aktuelle Stunde zum Sparpaket der Bundesregierung

Auf Antrag der Fraktion DIE LINKE debattierte die Bürgerschaft heute über die Sparbeschlüsse der Bundesregierung vom ersten Juni-Wochenende. Hermann Kuhn, haushalts- und finanzpolitischer Sprecher: "Die Versuchung ist groß, sich in dieser Aktuellen Stunde nicht nur mit der Haushaltspolitik der schwarz-gelben Koalition in Berlin zu beschäftigen, sondern mit ihrer Gesamtbilanz. Ich widerstehe der Versuchung, denn diese Bundesregierung muss ich nicht umfassend kritisieren, das macht sie selbst."

Kuhn betonte, dass nicht das ganze Sparpaket in Bausch in Bogen zu kritisieren sei, so seien weniger Befreiungen von der Ökosteuer oder die Kerosinabgabe auf Flugticktes zwar nicht weitgehend genug, aber doch Schritte in die richtige Richtung. "Der Plan einer Abgabe auf die Kernenergieanlagen allerdings ist vergiftet, wenn uns damit der Widerstand gegen Laufzeitverlängerungen abgekauft werden soll."

Es gäbe weiterhin gute Absichtserklärungen wie etwa die Bundesverwaltungen zu reformieren oder die Wehrpflicht abzuschaffen. Hermann Kuhn dazu: "Aber all dies sind nur Absichtserklärungen, die in der Kakophonie der schwarz-gelben Regierung gleich wieder untergehen. Auch deshalb redet die Presse von Luftbuchungen, von ›tricksen, täuschen, schönrechnen‹."

Die Hauptkritik des grünen Finanzpolitikers richtete sich allerdings gegen die sozial unausgewogene, ungerechte Verteilung der Sparlasten: "Das Streichen des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfängerinnen – es sind ja fast ausschließlich alleinerziehende Frauen, die davon betroffen sind –, das Streichen der befristeten Zuschläge beim Übergang vom Arbeitslosengeld I zum ALG II, das Streichen der Rentenbeiträge für Arbeitslose, was unter anderem dazu führt, dass sie Ansprüche Erwerbsminderungsrente verlieren und was die Armut im Rentenalter verschärft, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Darunter leiden diese Menschen, und wir, die Kommunen, müssen dann versuchen, ihre schwierige Lage zu lindern."

Er warf der Bundesregierung vor, nicht das getan zu haben, was auf der Hand liege: die unverantwortlichen Steuergeschenke zurücknehmen, die Steuerbelastung für die Reichen und Vermögenden anheben, ökologisch unsinnige Subventionen weiter abbauen, das Dickicht der Mehrwertsteuersätze lichten. "Was sie gemacht hat, ist für die Haushaltspolitik so etwas wie der Fall ›Emmely‹, die nach dreißig Berufsjahren wegen 1 Euro 30 Pfandbons rausgeschmissen wurde. Es verletzt in ebenso eklatanter Weise das Gefühl der Bürgerinnen und Bürger für Maß und Gerechtigkeit. Es ist schäbig, wie Sie gerade bei denen zulangen wollen, die es ohnehin schon am schwersten haben."

 

Öl sparen hilft Katastrophen vermeiden

In der Aktuellen Stunde befasste sich die Bürgerschaft auf Antrag der Fraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN mit der Frage "Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko – wie sicher ist die Ölförderung vor unserer Küste?" Seit dem Untergang der Bohrinsel sind Hunderte Millionen Barrel Öl ins Meer geströmt, insgesamt aufgefangen wurden bisher gerade etwas mehr als 134.000 Barrel. Neuen Expertenschätzungen zufolge landen täglich bis zu 3 Millionen Liter Öl im Golf von Mexiko. Zum Vergleich: Bei dem Exxon Valdez-Unglück 1989 vor Alaska wurden gerade mal 40.000 Tonnen Rohöl ins Meer gespült.

"Jetzt kann man natürlich sagen, das ganze geschieht 8.000 km von uns entfernt, was hat das mit uns hier in Bremen zu tun?" fragte Maike Schaefer, energiepolitische Sprecherin. "Ich sage Ihnen: eine ganze Menge. Nicht nur, dass diese Ölkatastrophe auch hier sehr, sehr viele Menschen erzürnt und wütend macht. Nein, das Unglück im Golf von Mexiko hat deutlich gemacht, mit welch unverantwortlichen Methoden heute Öl gefördert wird, um den nach wie vor steigenden Bedarf zu decken."

Der US-Untersuchungsausschuss kam zu folgender Analyse: Der Öl-Konzern BP habe aus Zeitdruck und Sparsamkeit mindestens fünf hochriskante Entscheidungen getroffen, die das Unglück im Golf von Mexiko ausgelöst haben könnten. Eine Prüfung interner BP-Dokumente und E-Mails habe ergeben, dass der Konzern an Material gespart und wichtige Sicherheitstests weggelassen habe. Insgesamt habe der Konzern dadurch sieben bis zehn Millionen Dollar (5,7 bis 8,1 Millionen Euro) und auch Arbeitsleistung gespart.

Und auch in der Nordsee wird Öl gefördert: Es gibt ca. 500 Öl- und Gasbohrplattformen dort. Experten können eine vergleichbare Katastrophe nicht ausschließen. Auch jetzt schon sind Unfälle auf diesen Ölplattformen keine Seltenheit, bisher aber zum Glück nicht in diesem Ausmaß vorgekommen. Im Zeitraum von 1974 bis 2004 wurden 5.000 Schadensfälle gemeldet.

"Daher drängen sich Fragen auf, wie sicher sind diese Ölplattformen? Welche Sicherheitsvorkehrungen bzw. Notfallpläne gibt es? Wer kommt am Ende für den Schaden auf? Und es drängt sich natürlich auch die Forderung auf, die Bohrinseln in EU-Gewässern zu überprüfen, Sicherheitsbestimmungen zu verschärfen und strengere Kontrollen durch zuführen", so Schaefer, betonte aber auch: "Wir alle sind genauso Verursacher dieser Katastrophen, denn Deutschland ist weltweit der sechstgrößte Erdölverbraucher. Unsere Gier nach Energie, die Gier der Ölindustrie nach Gewinnen, all das verleitet zu diesen unverantwortlichen Förderpraktiken. Wir müssen endlich umdenken: weg vom Öl, hin zu erneuerbaren Energien. Öl sparen, hilft Katastrophen vermeiden."

Übrigens: In der heutigen Sitzung des Umweltausschusses des Bundestags wurde ein Bericht des Bundesumweltministeriums zur Situation in der Nordsee vorgestellt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wollte der Firma BP die Möglichkeit geben, sich hierzu zu äußern. Dies wurde jedoch mit einem Schreiben an die Ausschussvorsitzende abgelehnt. BP sehe keinen Anlass für Diskussionen über die Schlussfolgerungen aus der Katastrophe, weil die Untersuchungen noch andauerten.

 

Aus der Stadtbürgerschaft vom 15.6. 2010

 

Beiräte brauchen Ortsamtsleitungen

"Wir haben in den vergangenen Jahren viel zur Stärkung der Beiräte auf den Weg gebracht. Die Stadtteilbeiräte haben ein größeres Gewicht bekommen", leitete Matthias Güldner, Fraktionsvorsitzender der Grünen, in die Debatte ein. Wurde früher die Besetzung einer Stelle als Ortsamtsleiterin oder Ortsamtsleiter vom Senat entschieden, wurde durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2007 das Verfahren geändert: Die Stellen können seitdem nur mit einer Person besetzt werden, die zuvor die Mehrheit im jeweiligen Beirat erlangt hat. Allerdings gilt daneben aber weiterhin das Beamtenrecht, was es KandidatInnen, die bei der Beiratswahl unterlegen waren, ermöglicht, sogenannte "Konkurrentenklage" gegen die Besetzung der Stelle zu erheben, also Widerspruch einzulegen.

Seit einigen Jahren verzögert sich die Besetzung der Stellen mit den von den jeweils zuständigen Beiräten gewählten Bewerberinnen und Bewerbern in verschiedenen Beiratsgebieten. Dadurch, dass die Ortsamtsleitung teilweise mehrere Monate unbesetzt bleibt, werden die Beiräte an der ordnungsgemäßen und effektiven Erfüllung ihrer Aufgaben gehindert.

Mit einem Antrag von Grünen und SPD forderte die Stadtbürgerschaft nun den Senat auf, die rechtlichen Möglichkeiten (einschließlich ihrer Vor- und Nachteile) zu prüfen, um eine zügige und dem Beiratsvotum entsprechende Stellenbesetzung sicherstellen zu können.

Güldner stellte dabei klar: "Dieser Antrag stellt keine Kritik am bestehenden Gesetz dar. Das ist auch keine Kritik am Senat oder der Senatskanzlei. Ja, es ist nicht einmal Kritik an denjenigen, die geklagt haben, denn es ist bestehendes Recht, das sie in Anspruch nehmen, eben zu Recht in Anspruch nehmen. Es ist kein Blick zurück im Zorn, sondern ein Blick nach vorn."

Matthias Güldner betonte, dass es neben dem Beamtenrecht eben gleichzeitig ein politisches Prinzip gebe, das dem Beirat das Recht einräumt, die Ortsamtsleiterinnen und Ortsamtsleiter zu wählen. Schließlich seien es vom Volk gewählten Beiräte, die sich ihre Ortsamtsleitung selbst auswählen können sollen, und das sei auch gut so. "Der Senat soll bis zum Herbst Vorschläge erarbeiten, und dann wird die Stadtbürgerschaft hoffentlich noch in dieser Wahlperiode diesen Missstand abstellen, damit die Beiräte und Ortsämter in die Lage versetzt werden, umgehend handlungsfähig zu sein."

 

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