Die Sitzungen im Februar 2010

Die Sitzungen im Februar 2010

 

Aus dem Landtag vom 25.2.2010

 

Neues Abgeordnetenrecht – Bremen ist Spitze der Reformländer

Mit den heute in erster Lesung beschlossenen Änderungen zum Abgeordnetenrecht hat sich die Bremische Bürgerschaft an die Spitze der Reformländer gesetzt. Was wohl noch nie vorgekommen ist: Der Bund der Steuerzahler lobte die Abgeordneten. "Den Bürgerschaftsfraktionen sei bei der künftigen Abgeordnetenbezahlung im Hinblick auf Transparenz und Gleichbehandlung mit Normalbürgern bei Besteuerung und Altersversorgung ein wirklich großer Wurf gelungen … Mit der Abgeordnetenreform wird nach Auffassung des Bundes der Steuerzahler ein überfälliger Systemwechsel vollzogen. Nahezu alle bisher gewährten Leistungen, die teils steuerpflichtig, teils steuerfrei gezahlt werden, werden künftig zu einer monatlichen Entschädigung von 4.700 Euro zusammen gefasst. Diese neue Entschädigung ist uneingeschränkt steuerpflichtig. Hinzu kommt ein weiterer steuerpflichtiger Betrag von 750 Euro im Monat, den Abgeordnete zwingend für die spätere Altersversorgung anlegen müssen. Die monatliche Gesamtentschädigung eines Bremer Abgeordneten erreicht somit künftig 5.450 Euro im Monat. Sie liegt damit nach Ansicht des Bundes der Steuerzahler noch im Rahmen angemessener Abgeordnetenbezüge. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass aus dem neuen Betrag alle mandatsbedingten Aufwendungen (wie Büro, Büroausstattung, Hilfskräfte) zu bestreiten sind und weitere bisherige Zahlungen wie Sitzungsgelder, Erwerbs- und Verdienstausfallgelder, Übergangs- und Altersruhegelder (inklusive Hinterbliebenenversorgung) sowie Sterbegelder künftig entfallen. Auch wird die Vereinbarkeit von öffentlichem Amt und Mandat wesentlich erleichtert mit der Folge, dass Staatsdiener mit Parlamentssitz keinen finanziellen Ausgleichsanspruch mehr erhalten. In vielerlei Hinsicht räumt das neue Abgeordnetenrecht somit nach Meinung des Bundes der Steuerzahler mit bisherigen Politiker-Privilegien auf." (aus der Presseerklärung des Bundes der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen)

Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Matthias Güldner zeigte sich beeindruckt von den Redebeiträgen der Vorsitzenden Tschöpe (SPD) wie auch Röwekamp (CDU): "Es kommt selten vor, dass ich mit allen Vorrednern einverstanden bin, Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen. Das Reformpaket räumt mit allen Kritikpunkten, die an der Abgeordnetenvergütung geäußert wurden, auf. Es gibt eine Diät, alle Sondertatbestände werden abgeschafft. Die Reform ist transparent, kostenneutral und gerecht, weil jeder das gleiche bekommt. Und, zur Freude der Finanzsenatorin: Der gesamte Betrag wird voll versteuert, auch das ein wesentlicher Fortschritt dieser Reform."

Breiten Raum der Debatte nahm allerdings die Haltung der Fraktion Die Linke ein: Sie hatte sich in dem anderthalb Jahre währenden Prozess kaum an den Beratungen beteiligt und auch keine eigenen Vorschläge eingebracht. Noch in der letzten Sitzung des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses am 22. Februar 2010 hatte ihr Fraktionsvorsitzender Peter Erlanson erklärt, vieles für gut zu befinden, manches jedoch nicht, weshalb sich die Fraktion bei der Abstimmung enthalten würde.

Nur einen Tag später bezeichnete die Linksfraktion die Änderungen des Abgeordnetenrechts als Mogelpackung, unterstellte eine heimliche Diätenerhöhung "unter dem Deckmantel der Kostenneutralität" und warf den anderen Fraktionen "unlautere Trickserei" vor. Dieses Vorgehen heizte die Debatte so richtig an.

Matthias Güldner: "Ich muss sagen, ich bin richtig wütend auf das, was die Linke getrieben hat. Mit solchem Vorgehen geraten Sie in die Nähe zum Umgang mit Parlamenten, wie es die extreme Rechte macht. Wenn Sie mit dieser Art von Politik und Demagogie versuchen, draußen Punkte zu machen, dann prophezeie ich ihnen, dass ihre Tage in diesem Hause gezählt sind."

Besonders in Rage gerieten die anderen Abgeordneten durch eine Veröffentlichung der Linken-Fraktion auf ihrer Homepage: Mit einem Foto hatte sie den Eindruck zu erwecken versucht, die Fraktionen von SPD, CDU, GRÜNEN und FDP würden sich mit dem neuen Abgeordnetenrecht die Taschen vollstopfen. Nach lauter Empörung wurde das Foto noch während laufender Debatte auf der Homepage geändert:

vorher:

 

nachher:

 

 

 

 

 

Atomtransporte im Bundesland Bremen verringern

Im Grunde war sich von Links bis Rechts die Bürgerschaft in Sachen Atomkraft einig: Alle wollen aus der Atomkraft aussteigen, und niemand will eigentlich Atomtransporte. Beim Atomausstieg gibt es allerdings Differenzen hinsichtlich des Zeithorizonts. Und zum Thema Atomtransporte lagen gleich drei Anträge vor.

Maike Schaefer, grüne Energiepolitikerin: "Meine Damen und Herren besonders der schwarz-gelben Fraktionen: Wer Atomkraft betreibt, der nimmt Transporte in Kauf. Aber es kann nicht sein, dass Bremen, das ja von sechs Atomkraftwerken im Umkreis von 150 Kilometern umzingelt ist, auch noch dem Risiko des Transports ausgesetzt ist. Wenn Regierungen von Bundesländern AKWs betreiben und sich auch noch für Laufzeitverlängerungen aussprechen, dann sollen sie ihren Müll auch über ihre eigenen Häfen transportieren. Wir lehnen Atomtransporte aus und in AKWs über das Land Bremen ab! Wer Müll produziert, muss ihn auch zurücknehmen. Dann muss aber der Bund für eine angemessene Verteilung sorgen, aber nicht auf dem Rücken Bremens."

Schaefer machte auch deutlich, dass die Genehmigungen für den Transport von Kernbrennstoffen und Großquellentransporte vom Bundesamt für Strahlenschutz erteilt werden. Sie wies auch darauf hin, dass es unvermeidbare Transporte gibt, wie etwa aus der Nuklearmedizin und der Forschung. "Aber wir als Grüne sagen, und das ist uns eine Herzensangelegenheit: Wir wollen keine unnötigen Atomtransporte!"

Der neue Senator für Wirtschaft und Häfen Martin Günthner gab noch bekannt, dass sich die der Debatte zugrundegelegenen Daten über die Zahl der Atomtransporte auf das Jahr 2008 bezögen. Im Jahr 2009 seien die Transporte stark rückläufig gewesen.

Der FDP-Antrag bezeichnete die Atomkraft als "Brückentechnologie", dem die rot-grüne Koalition nicht zustimmt. Der Antrag der Linken beinhaltete nur Prüfaufträge an den Senat. Beschlossen wurde schließlich der Antrag von Grünen und SPD.

 

Die Lebenssituation der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution verbessern

Ein Antrag der Fraktion Die Linke provozierte einen Gegenantrag der rot-grünen Koalition. Worum es geht: Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel werden auch innerhalb der EU, oft aus osteuropäischen Beitrittsländern, verschleppt. Im Gegensatz zu OpferzeugInnen aus EU-Mitgliedstaaten, die gemäß der europäischen Freizügigkeitsregeln in Deutschland aufenthaltsberechtigt sind, ist die aufenthaltsrechtliche Situation der OpferzeugInnen aus Nicht-EU-Staaten unklar. Bei dem Umgang mit den Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution hat der Zeugenbeweis eine zentrale Bedeutung. Wichtigste ZeugInnen sind dabei i. d. R. die Opfer, da sie authentisch über Tatgeschehen, Tatbeteiligungen und Umstände berichten können. Vor dem Hintergrund, dass diese wichtigsten ZeugInnen mit unklaren Bleiberechtsregelungen, fehlenden finanziellen Perspektiven, ungenügenden Informationen über eigene Rechte und vorhandene Hilfsangebote konfrontiert sind, ist die Aussagebereitschaft und der Wille zur Zusammenarbeit mit der Polizei dieser wichtigsten ZeugInnen äußerst gering.

Frauen, die sich entschließen in einem Prozess auszusagen, erhalten trotz bestehender Aufenthaltsberechtigung in der Regel keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Sozialgesetzbuch. Obwohl sie oft mehrere Jahre auf den Prozess warten müssen, haben sie während dieser Zeit keinen Zugang zu Hilfesystemen oder Integrationskursen.

Björn Fecker, innenpolitischer Sprecher: "Nicht umsonst haben wir Grünen, aber auch andere Fraktionen, uns eng mit den entsprechenden Beratungsstellen ausgetauscht. Wir hätten gerne diese fachliche Beratung weiter betrieben. Sowohl die Innendeputation als wahrscheinlich auch der Gleichstellungsausschuss hätten sicherlich noch eine Menge an Fragen und Verbesserungsvorschlägen gehabt. Die Linke hat nun aber einen Antrag eingereicht, setzt damit, leider wie so oft, mehr auf politisches Getöse statt auf harte und – das gebe ich zu –anstrengende Ausschussarbeit. Hätten Sie sich für die intensive Beratung entschieden, wäre Ihr Antrag auch nicht so einseitig ausgerichtet, sondern hätte das Problem umfassender angegangen."

Fecker hob die Unterschiede zum Linken-Antrag hervor:

"Wir wollen, dass der Senat die Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel, die nicht aus Ländern der EU kommen, nicht einfach abschiebt. Es ist doch schizophren, dass jemand als Dank für die Aufklärung einer schweren Straftat in ein Flugzeug gesetzt wird und aus diesem Land fliegt, um vor Ort auf dieselben Hintermänner zu treffen. Das wollen Grüne und Sozialdemokraten nicht.

Wir wollen, dass den Frauen, die Opfer eines solchen Verbrechens wurden, schnell und gut geholfen wird. Es kann aus unserer gemeinsamen Sicht nicht sein, dass sich Behörden tagelang darüber austauschen, wer denn nun das Deponat für die Schutzwohnung übernimmt und das Opfer dann im wahrsten Sinne des Wortes im Schnee steht.

Wir wollen, dass den Menschen geholfen wird, das Erlebte zu verarbeiten und zurück in ein normales Leben zu finden. Dafür bedarf es einfacher Hilfestrukturen, einer finanziellen Absicherung und der Möglichkeit psychosoziale Betreuung in Anspruch zu nehmen.

Wir wollen, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird. Mit diesen Fällen sind nicht nur die beiden Städte unseres Bundeslandes konfrontiert, sondern es ist ein deutschlandweites Phänomen. Hier muss bundeseinheitlich gehandelt werden. Es kann nicht sein, dass beispielsweise jede Ausländerbehörde macht, was sie gerade für richtig hält.

Für die Koalition ist das Thema nicht beendet, es gibt Baustellen, auf die wir mit diesem Antrag hingewiesen haben und deren Abarbeitung durch das Parlament auch kontrolliert wird – versprochen!"

 

Bremer U-Haft-Gesetz beschlossen

Seit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform I am 1. September 2006 ist die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder übergegangen. Im Zuge dessen mussten unter anderem Regelungen aus unterschiedlichen Bundesgesetzen in einem Bremischen Untersuchungshaftvollzugsgesetz zusammengefasst werden. Der Senat hatte im September vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Rechtsausschuss der Bürgerschaft hatte dazu ExpertInnenanhörungen durchgeführt und abschließend beraten.

In der heutigen Debatte zur 2. Lesung des Gesetzes ging der justizpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Horst Frehe noch einmal auf die wesentlichen Punkte ein: "Uns ist besonders wichtig, dass die Suizidprävention bei der Aufnahme in die Untersuchungshaft und auch während der Haftzeit gesetzlich geregelt wird. Es muss alles getan werden, um Menschen, denen zu Recht oder zu Unrecht eine Straftat vorgeworfen wird, davor zu bewahren, dass sie nach der Inhaftierung in der Auseinandersetzung mit ihrer Situation und besonders mit den Schuldvorwürfen ihrem Leben ein Ende setzen."

Die Belehrung über Rechte und Pflichten muss so erfolgen, dass sie von allen verstanden wird, damit sich die aufgenommenen U-Häftlinge auf die neue Lebenssituation einstellen können. Das bedeutet, dass sie für ausländische Häftlinge in ihrer Muttersprache und für sinnes- oder kognitiv beeinträchtigte Häftlinge in einer für sie verständlichen Form zu erfolgen hat.

Grundsätzlich solle eine Einzelunterbringung in einer Haftzelle erfolgen. Suizidgefahr kann ein Grund für eine Unterbringung mit einem anderen U-Häftlilng sein, Pflege- oder Hilfebedürftigkeit nicht.

Bei einer schweren Erkrankung oder bei Tod soll es vom U-Häftling bestimmt werden können, wer davon benachrichtigt wird. Es könne gute Gründe geben, wenn zum Beispiel die Straftat im familiären Umfeld begangen worden sein soll, bestimmte Familienmitglieder von der Erkrankung nicht in Kenntnis zu setzen.

 

Aus dem Landtag vom 24.2.2010

 

Martin Günthner zum neuen Senator für Wirtschaft und Häfen und Justiz und Verfassung gewählt

Nach einer relativ unaufgeregten Debatte wählten in geheimer Abstimmung 45 von 82 Abgeordneten den SPD-Abgeordneten Martin Günthner zum Nachfolger des zurückgetretenen Senators Nagel. Inwiefern sich zuvor geäußerte Unkenrufe bestätigten, selbst die eigenen Reihen würden Günthner nicht voll unterstützen, ist schwer nachzuvollziehen. Die rot-grüne Koalition verfügt über 45 Abgeordnete, allerdings hatten die parteilosen Abgeordneten Möhle und Tittmann zuvor erklärt, Günthner mit zu wählen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Grünen-Fraktion geschlossen den Koalitionsvertrag erfüllt hat.

Üblicherweise stimmt die Opposition nicht für die Mitglieder der Regierung. Die Rede zur Begründung der Ablehnung seitens der CDU-Fraktion geriet allerdings deren Vorsitzendem Thomas Röwekamp eher zu einer persönlichen Diffamierung des Kandidaten denn zu einer inhaltlichen Abrechnung mit der rot-grünen Koalition.

Matthias Güldner, Vorsitzender der grünen Bürgerschaftsfraktion, wies diese Vorwürfe, die sich allein auf mangelnde Qualifikation des Kandidaten und dessen inzwischen abgeschaltete Homepage www.majakowski.com bezogen, energisch zurück. Es sei natürlich nicht so, dass die grüne Fraktion gelegentliche anti-grüne Querschläger des Abgeordneten Günthner nicht wahrgenommen hätten. In der fraktionsinternen Aussprache über die Personalie wie auch im Gespräch mit Günthner selbst habe sich jedoch gezeigt, dass ein hohes Interesse an einer gedeihlichen und guten Zusammenarbeit auf allen Ebenen bestünde, mit den KollegInnen im Senat wie auch mit den Fraktionen wie auch mit den fachpolitischen Sprechern.

Den CDU-Vorwurf, Günthner sei kein Jurist und habe vom Ressort Justiz und Verfassung keine Ahnung, konterte der SPD-Fraktionsvorsitzende Björn Tschöpe mit der süffisanten Einlassung, der heutige CDU-Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Peter Harry Carstensen, sei auch Justizminister gewesen und von Beruf – Bauer.

Die Kritik an der rot-grünen Wirtschaftspolitik, sie sei konzeptionslos und würde nichts Neues zuwege bringen, wiesen Güldner, Tschöpe wie auch Möhle zurück. Letzterer listete diverse wirtschaftspolitische Konzepte der Koalition auf, Matthias Güldner betonte, es gehöre zu einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik, die laufenden und lange geplanten Projekte zunächst abzuarbeiten und nicht, sich permanent neue Großprojekte auszudenken.

 

Neues Bildungsurlaubsgesetz in erster Lesung beschlossen

Nach dem Bürgerschaftsbeschluss zur Änderung des Bildungsurlaubsgesetzes im vergangenen September lag heute der Gesetzentwurf des Senats zur Debatte und Beschlussfassung in erster Lesung vor. Die rot-grünen Änderungen des Gesetzes umfassen im Wesentlichen:

  • Gewährung von Bildungsurlaub ab einem Tag Dauer bei Beibehaltung des Zwei-Wochen-Anspruchs in zwei Jahren,
  • Zulassung privater Bildungsanbieter,
  • Mitteilung der Inanspruchnahme von Bildungsurlaub an den Arbeitgeber in der Regel vier Wochen vor Beginn,
  • keine Übertragung von nicht in Anspruch genommenen Bildungsurlaub über den Zweijahreszeitraum hinaus
  • Überarbeitung des Gesetzes in gendergerechter Sprache

Silvia Schön, in der Fraktion für Weiterbildung zuständig: "Für uns Grüne war diese Gesetzesänderung ein besonderes Anliegen, und zwar weil uns die Chancen auf Weiterbildung und lebenslanges Lernen der Bürgerinnen und Bürger besonders wichtig ist. Wissen unterliegt einem immer schnelleren Wandel, deshalb ist Lernen im Lebenslauf eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen."

Ziel der Gesetzesnovelle ist es, die Hemmschwelle für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Bildungsurlaub zu nehmen, herabzusetzen, denn viele trauen sich nicht, fünf Tage Bildungsurlaub am Stück zu nehmen. "Bei ein oder zwei Tagen sieht die Welt schon anders aus", so Schön. "Wir machen hier nichts anderes als Brücken zu bauen zum Bildungsurlaub. Und das ist gut so. Wir werden eine Erweiterung der Veranstaltungsformate bekommen, zum Beispiel statt fünf Tagen Englisch am Stück dann fünf Wochen immer montags."

Mit der Zulassung privater Anbieter sollen die Wahlmöglichkeiten erweitert werden. Es soll den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern überlassen bleiben zu entscheiden, wer das für ihre Bedürfnisse beste Angebot macht: die Volkshochschule oder eben beispielsweise eine private Sprachschule. Silvia Schön betonte: "Klar ist, dass die Qualität gesichert sein muss. Nach wie vor müssen die Bildungsveranstaltungen anerkannt werden; und eine Anerkennung kann es nur geben, wenn die Qualität gesichert ist."

Im europäischen Vergleich steht Deutschland im Bereich der Nutzung von Weiterbildungsangeboten armselig da: Finnland oder Großbritannien haben laut Eurostat (offizielle EU-Statistik) eine Weiterbildungsbeteiligung von 20 bzw. 22 Prozent. Die Lissabon-Strategie fordert 12 Prozent. Deutschland steht bei 5,8 Prozent. Silvia Schön abschließend: "Die jetzige Novellierung des Bildungsurlaubsgesetzes ist sicher nicht der große Wurf, aber sie ist ein wichtiger Baustein für mehr Chancen auf Bildungsbeteiligung. Unter dem Aspekt lebensbegleitenden Lernens – also dem Lernen nach einer Berufs- oder Hochschulausbildung – haben wir gegenwärtig kein besseres Instrument. Dieses Potenzial sollten wir nutzen und ausbauen."

 

Gesellschaftliche Teilhabe und soziale Gerechtigkeit – Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung

Auf Antrag der rot-grünen Koalition führte die Bürgerschaft eine Aktuelle Stunde zum Thema "Gesellschaftliche Teilhabe und soziale Gerechtigkeit – Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung" durch. Anlass dafür war nicht nur das Urteil zu den Regelsätzen bei Hartz IV, sondern auch die jüngsten Äußerungen aus FDP-Kreisen, die Langzeitarbeitslose diffamieren.

Horst Frehe, grüner Sozialpolitiker, zitierte zu Beginn den CDU-Politiker Heiner Geißler, der im Weser-Kurier-Interview auf die Frage, was eine Generaldebatte im Bundestag über Hartz IV bringen könne, antwortete: "Eine Bewusstseinsklärung. Damit endlich diese pauschale Rederei aufhört, die nur dazu dient, Leute zu demütigen und ihnen den Eindruck zu vermitteln, sie seien Bürger zweiter Klasse. Es ist eine knallharte Pflicht – die auch schwerfallen kann –, denjenigen zu helfen, die in Not sind."

Frehe führt dazu aus: "Er meint, wenn diese Debatte über zu hohe Leistungen, Leistungsmissbrauch, Verschärfung der Arbeitspflicht, fehlende Sanktionen usw. auf dem Rücken der Arbeitslosen ausgetragen wird, verletze sie die Menschenwürde! Und das nicht, weil man nicht darüber reden dürfte, sondern durch die Art der Debatte, wie sie jetzt geführt wird!" Geißler greife damit auf, was das Bundesverfassungsgericht der Politik ins Stammbuch geschrieben hat: "Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen."

"Das bedeutet", so Frehe, "die Höhe der Regelleistung darf nicht nach freiem politischem Ermessen willkürlich festgesetzt oder durch ›Schätzungen ins Blaue hinein‹ einfach reduziert werden, sondern sie muss transparent, nachvollziehbar und empirisch fundiert bestimmt werden. Dieses Schwadronieren dieser Schäubles, de Maizières und Westerwelles über die Möglichkeit, die Regelsätze im bisherigen Rahmen zu halten oder gar abzusenken, zeigt, dass die Herren sich nicht wirklich mit dem Urteil und der darin dezent formulierten Schelte des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt haben."

Die Höhe der Grundsicherung, die der Staat zahlt, ausschließlich nach den fiskalischen Auswirkungen oder nach Überlegungen zum Lohnabstandsgebot zu bestimmen, sei verfassungswidrig. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende müsse nicht nur das tatsächliche physische Existenzminimum (also genug zu essen und ein Dach über dem Kopf) abdecken, sondern auch die kulturelle und soziale Teilhabe.

Horst Frehe ging dann auf die aktuelle Debatte ein: "Wie verhält es sich nun mit der Unterstellung, Arbeitslose würden sich faul in der Hängematte rekeln und könnten nur durch scharfe Sanktionen zur Arbeit motiviert werden? Also wie ist das mit der fehlenden Leistungsbereitschaft der Grundsicherungsbeziehenden? Circa ein Viertel der erwerbsfähigen Grundsicherungsbeziehenden sitzt nicht zu Hause, sondern sie arbeiten legal in einer Beschäftigung, obwohl ihnen oberhalb des Freibetrags von 100 Euro monatlich 80 Prozent der Einkünfte abgezogen werden. Ein erheblicher Teil davon arbeitet sogar Vollzeit. Fehlende Mindestlöhne, unständige Beschäftigungen, Leiharbeit, unfreiwillige und selbstausbeuterische Selbständigkeit als Kioskbesitzer, Franchisenehmer oder selbständiger Lkw-Fahrer, 1-Euro-Jobs, unbezahlte mehrjährige Praktika drücken die leistungsbereiten und hart arbeitenden prekär Beschäftigten unter ein existenzsicherndes Lohneinkommen.

Arbeitsbereitschaft und Arbeitsmotivation kann man diesen 11.000 Beschäftigten mit Aufstockungsleistungen allein in der Stadt Bremen sicher nicht absprechen. Trotz der weitgehenden Anrechnung des erzielten Einkommens suchen sie Arbeit und üben ihre Beschäftigung unter schwierigsten Bedingungen aus." Frehe führte einige Beispiele auf:

  • Wenn eine über 50-jährige Fotolaborantin ihre qualifizierte Arbeit verliert, weil die Produktion auf digitalisierte Fotos umgestellt wurde, die weniger Personal erfordert, und dann putzen geht, um ihre Grundsicherung aufzustocken.
  • Wenn körperlich angeschlagenen Facharbeitern der Antrag auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt wird, weil sie noch leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne schweres Heben und Tragen vollschichtig verrichten können und sie sich als Parkwächter verdingen müssen.
  • Wenn ein psychisch erkrankter Sachbearbeiter den Arbeitsstress nicht mehr aushält und nach der klinischen Behandlung in der Psychiatrie einen 1-€-Job in einer Theatergruppe annimmt.

Horst Frehe griff dann direkt die FDP an: "Wir kommen bei dieser Debatte nicht umhin, uns auch mit der neuen populistischen Linie der FDP auseinanderzusetzen. Der FDP-Antrag, den wir ja noch behandeln werden, formuliert das so: ›Statt weiterhin ein unbeschwertes Leben auf Kosten der arbeitenden, leistungsbereiten und die Steuerlast tragenden Teile der Bevölkerung zu versprechen, ist ein Kurswechsel … geboten.‹ Arbeitslose leben also auf Kosten der Bevölkerung! Sie sind also ›Sozialschmarotzer‹! – nichts anderes versucht dieser Antrag zu suggerieren! Das ist Fischen im braunen Sumpf! Ist das der von der FDP gewollte Kurswechsel?

Dass ein Teil der eher zum FDP-Klientel gehörenden Steuerbürger gerade schnell durch Selbstanzeige beim Finanzamt versucht, einer Bestrafung wegen Steuerhinterziehung zu entgehen, gerät weniger ins Blickfeld dieser Partei. Dass die Besserverdienenden durch Steuersparmodelle, Steuerflucht, Sonderabschreibungen ganz legal sich um ihren Beitrag zur Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben drücken können und die FDP sie noch mit einem abgesenkten Stufentarif belohnen will, gerät ihr dabei ebenso aus dem Blick!"

 

Herkules-Aufgabe: europaweite Vergleichbarkeit von Kompetenzen und Ausbildungen

"Nationaler Qualifikationsrahmen, europäischer Qualifikationsrahmen – liebe Kolleginnen und Kollegen, mal ehrlich: Das klingt wie eingeschlafene Füße … und nicht wie eine Vision und eine Herausforderung im zusammenwachsenden Europa", führte Silvia Schön in ihren Beitrag ein, "aber genau darum geht es."

Der Europäische Qualifikationsrahmen wurde im Jahr 2008 beschlossen und verfolgt folgende Kernziele:

  • Förderung von Mobilität und Anerkennung gleichwertiger Abschlüsse in der EU, unabhängig davon, wo sie erworben wurden.
  • Förderung lebenslangen Lernens
  • Zu einer Bewertung zu kommen, was jemand tatsächlich gelernt hat und kann, und nicht wo, wie und wie lange jemand etwas gelernt hat (weg von der income-Orientierung, hin zur outcome-Orientierung).

Ähnlich wie im Bologna-Prozess soll ein System geschaffen werden (umfassend Schule, duale Ausbildung, Fachschulausbildung, Hochschule, Weiterbildung, lebensbegleitendes Lernen), das auf Creditpoints beruht und die Lernergebnisse und erworbene Kompetenzen auf europäischer Ebene vergleichbar macht.

"Das ist eine Herkules-Aufgabe, da es große kulturelle Unterschiede in den Bildungssystemen etwa des deutschsprachigen und des angelsächsischen Kulturraums gibt und die EU legt das angelsächsische System zugrunde", erläuterte Schön und sah folgende zu klärende Fragen: Welche Bedeutung wird künftig das deutsche Beruflichkeitsverständnis haben gegenüber dem angelsächsischen Kompetenzverständnis (wobei Tariffragen tangiert sind)? Welchem europäischen Kompetenzniveau wird die duale Berufsausbildung zugeordnet (bei acht verschiedenen Kompetenzniveaus)? Welche Rolle spielen interkulturelle Kompetenzen, gelebte Toleranz und Demokratieverständnis und wie sieht es mit dem deutschen Beharren auf formalen Abschlüssen aus?

 

KEP 2020? Klimaschutz- und Energieprogramm 2020!

Um eine gefährliche Störung des globalen Klimasystems zu verhindern, ist rasches und entschlossenes Handeln geboten. Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland haben deshalb in den letzten Jahren anspruchsvolle Klimaschutzziele beschlossen. Auch die neue Bundesregierung hat sich bedingungslos zu dem Ziel bekannt, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Die nationalen Klimaschutzziele können nur erreicht werden, wenn alle Akteure ihren Beitrag leisten. Dies gilt auch und insbesondere für die Länder und Kommunen. Der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat den Klimaschutz zu einem zentralen Handlungsschwerpunkt seiner Regierungsarbeit gemacht. Er orientiert seine Klimaschutz- und Energiepolitik hierbei an dem Leitziel, die Treibhausgasemissionen der Industrieländer bis zum Jahr 2050 um mindestens 80 Prozent gegenüber dem Niveau des Jahres 1990 zu senken.

"Der vorliegende Bericht zeigt die unterschiedlichen Handlungsfelder auf", sagte Maike Schaefer, energiepolitische Sprecherin, und führte einige Handlungsfelder auf: "Zum Beispiel die Nutzung und Erzeugung von elektrischem Strom, Stromeinsparmaßnahmen, zum Beispiel auch in öffentlichen Gebäuden, die Erzeugung von erneuerbaren Energien. Hier sei erst mal die Windkraft genannt: Bau von Windkraftanlagen, die Nutzung des Potenzials des Repowering – hierfür müssen wir vor Ort mehr Akzeptanz schaffen und in dem Zusammenhang die Anstrengungen für die schnelle Realisierung eines Offshorehafens unter der Berücksichtung von ökologischen Belangen. Zu nennen ist der Bau des Weserwasserkraftwerks (42 Millionen kWh), der Ausbau des Potenzials von Solarenergie – hier wünsche ich mir für Bremen eine Solarpotenzialanalyse, der Bau eines Mittelkalorikkraftwerks, eines Gaskraftwerks auf GuD-Basis, den Ausbau der Nutzung der Stromerzeugung aus Müllverbrennungsanlagen und die Nutzung der Fernwärme, Kraft-Wärmekopplung etc. Sie sehen, alleine auf dem Gebiet der Stromerzeugung liegen viele Potenziale. Weitere Handlungsebenen betreffen die energetische Sanierung des Gebäudebestands, und wer vor zwei Wochen auf der I2b-Veranstaltung in der Handwerkskammer mit 400 Teilnehmern war, der konnte erleben, was für ein riesiges Potenzial an Energieeinsparung in dem Bereich besteht und wie lukrativ dies für das örtliche Handwerk ist. Was aber an diesem Abend auch deutlich wurde, ist, dass wir deutlich Information, Aufklärung und Beratung verbessern können. Dies ist extrem wichtig, denn nur wer die Möglichkeiten erkennt, kann angemessen handeln."

Daneben gibt es auch eine Reihe weiterer Maßnahmen wie Klimaschutz im Hafen, Vernetzung im Wissenschaftsbereich oder Maßnahmen wie ÖPNV-Ausbau und Carsharing im Verkehrsbereich. Der KEP-Bericht mache deutlich: Das Land Bremen hat schon viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, aber es steht noch vielen Herausforderungen gegenüber. Schaefer brachte aber noch zwei kritische Punkte in die Diskussion ein:

Bremen ist ein Standort mit mehreren Kohlekraftwerken und hat mit dem Stahlwerk einen energieintensiven und damit CO2-reichen Wirtschaftszweig. Positiv ist, dass die swb ihren Anteil an erneuerbaren Energien bis 2020 auf 20 Prozent ausbauen möchte. "Aber wir werden nicht um die Diskussion herumkommen, wenn wir hier neue Gaskraftwerke etc. bauen und damit zwar energieeffizientere Kraftwerke haben, global damit aber auch noch mehr CO2 produzieren, ob es dann reicht, wenn man in Windparks außerhalb von Bremens Landesgrenzen investiert, oder ob man nicht doch langfristig über die Abschaltung von Kohlekraftwerken nachdenken muss, um CO2 lokal einzusparen", mahnte Schaefer an.

Der andere Punkt sind die Stahlwerke, die derzeit 45 Prozent zum gesamten Bremer CO2-Ausstoß beitragen. "Super ist, dass Arcelor-Mittal gerade Millioneninvestitionen genehmigt hat, um zukünftig Gicht- und Convertergas zu nutzen. Und das zeigt im Übrigen, dass Ökologie und Ökonomie zusammengehören, also eine Win-win-Situation ist: Geld für effektive Maßnahmen investieren, Energie und CO2 dadurch sparen, damit langfristig Geld wieder einsparen und im internationalen Wettbewerb einen Standort- und Marktvorteil haben. Das ist intelligente Umwelt- und Wirtschaftspolitik und das begrüßen wir", so Schaefer dazu. Gleichwohl wird die Stahlproduktion weiterhin CO2-intensiv sein. Daher müssten die Stahlwerke weiter gefordert und auch politisch unterstützt werden, damit die Prozessabläufe optimiert und effizient gestaltet werden.

Maike Schaefer abschließend: "Das KEP 2020 ist ambitioniert, aber es ist zu leisten. Es ist allerdings kein Nice-to-have, sondern ein Must-Programm, denn die Klimauhr tickt. Aber eines ist auch klar: Wir können uns jetzt nicht ausruhen mit dem KEP nach dem Motto, na, die Industrie wird es jetzt schon richten. Nein, jede und jeder von uns einzelnen muss und kann einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, um das Ziel von 40 Prozent CO2-Einsparung zu erreichen."

 

Aus der Stadtbürgerschaft vom 23.2.2010

 

Potenzial älterer MigrantInnen liegt noch brach

Die wachsende Anzahl von älteren Menschen mit Migrationsbiographie in Deutschland und damit auch in Bremen rückt zunehmend in den Blickpunkt der Sozialpolitik. Schätzungen zufolge leben im Land Bremen ca. 23.000 ältere Migrantinnen und Migranten über 60 Jahre, davon 6.000 über 65 Jahre. Für diese Bevölkerungsgruppe gilt das Gleiche wie für die Älteren insgesamt: Aufgrund des demografischen Wandels ist die Gesellschaft künftig stärker als in vergangenen Jahrzehnten auf ihre Erfahrungen, Kompetenzen und Potenziale angewiesen. Gleichzeitig ist ein Teil der älteren Migrantinnen und Migranten ungeachtet der langen Zeit in Deutschland immer noch mit spezifischen sozialen, psychosozialen, kulturellen und gesundheitlichen Problemen konfrontiert.

Vor diesem Hintergrund hatte Zahra Mohammadzadeh, die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, eine Große Anfrage initiiert, die heute debattiert wurde: "Uns war klar, dass die Beantwortung nicht leicht sein würde. Jetzt liegt diese Antwort vor und das Ausmaß des Problems wird wirklich erkennbar. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die gesellschaftliche Vielfalt nun auch endgültig unter den älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern Einzug gehalten hat. 180 Herkunftsländer kennzeichnen die Buntheit dieses Bevölkerungssegments unserer Stadt! Und das ist gut so!"

Einerseits ist es normal für eine Stadt, deren Geschichte den Bogen zwischen Buten und Binnen umspannt hat. Andererseits bringt es auch Probleme mit sich, allein schon hinsichtlich finanzieller Aspekte: Sozialversorgung, Gesundheitsversorgung, allein das Problem der Pflege. Mohammadzedeh: "All dies sind Sorgen, die mit dem Gedanken an die ältere Bevölkerung einhergehen. Und wir wissen, dass diese Sorgen bei Menschen mit Migrationshintergrund besondere Dimensionen haben. Es wird aus der Senatsantwort deutlich, dass wir dennoch an dem Grundansatz des sozialen Gemeinwesens, der sozialen Stadt festhalten. Unabhängig vom Alter und von der Herkunft wollen wir auch diesen Menschen eine möglichst breite gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Wir stecken die Menschenwürde nicht in den Sparstrumpf."

Die Zielgruppe sind rund 23.000 ältere Migrantinnen und Migranten, 15.000 sogenannte junge Alte. Die wenigen verfügbaren Zahlen besagen, dass diese Bevölkerungsgruppe unter den geringer Verdienenden und BezieherInnen von Sozialleistungen eindeutig überrepräsentiert sind. Nicht wenige sind von Armut bedroht. Die Arbeitslosenstatistik hat nur Aussagen für Ausländerinnen und Ausländer: 22,9 Prozent sind demnach von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Zahl für MigrantInnen, auch wenn sie nicht genannt werden kann, ist also noch höher. Und es ist davon auszugehen, dass die Armutsquote aufgrund dieser Vorgaben ziemlich hoch anzusetzen ist.

Zahra Mohammadzadeh hob hervor: "Die meisten von ihnen sind als gesunde Menschen hier hergekommen. Sie kamen anfänglich mit der gleichen Vorstellung, mit der diese Gesellschaft sie auch empfing: dass sie irgendwann einmal wieder in ihre Herkunftsländer zurück gehen würden. Das bedeutete, dass sie sich hier ihren Platz suchen, zugleich aber den Kontakt zur alten Heimat aufrecht erhalten mussten. Das war für viele von ihnen ein regelrechter Spagat. Es brachte besondere psychosoziale Belastungen mit sich, die weder von ihnen selbst noch – zumindest in der Anfangszeit – vom Sozial- und Gesundheitssystem überhaupt erkannt wurden."

Der Mangel an migrationssensibler Datenerhebung, der sich aus der Senatsantwort ergebe, erschwere eine diesen Benachteiligungen angemessene Planung und Qualitätskontrolle der Versorgungsstrukturen in Bezug auf diesen Personenkreis. Sorgfältige Planung und Qualitätssicherung sei aber auch in diesem Bereich für Bremen lebenswichtig, sonst würden wertvolle Ressourcen vergeudet.

Angebote für Ältere würden von Migrantinnen und Migranten kaum genutzt, weit unter dem Durchschnitt im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung. "Aber das liegt vielleicht nicht nur an der fehlenden Information", vermutete Mohammadzadeh und warf die Frage auf: "Könnte es vielleicht daran liegen, dass ältere Migrantinnen und Migranten keine Mitgestaltungsmöglichkeiten haben? Dass in der Seniorenvertretung keine Migranten sitzen, bereitet mir Sorge. Auch beim Portal des Seniorenlotsen findet sich keine Mitgestaltung der Migranten. Ebenso wenig bei den Freiwilligen des Seniorenbüros und des Forums Ältere Menschen. All dies ist bedenklich. Gestatten Sie mir die Frage, ob es wirklich ausreicht, dass Vertretungsstrukturen grundsätzlich offen für Migrantinnen und Migranten sind. Kann man bei solcher Zurückhaltung von Integrationschancensprechen? Müssen nicht Zielgruppen wie diese ›abgeholt‹ werden, wenn man tatsächlich an ihrer Partizipation interessiert ist?"

Ähnliches gelte für die Zusammenarbeit mit den Einrichtungen und Organisationen der Migranten selbst: "Was es anderswo längst gibt, kann Bremen auch: Begegnungsstätten unter Selbstverwaltung der Migranten, Räume für Ältere im Wohnviertel, niedrigschwellige Möglichkeiten der interkulturellen Begegnung auch im Alter, aber auch Angebote zur Begegnung zwischen den Generationen und insbesondere Kooperation mit den Einrichtungen, die in den Migrantengruppen verankert sind. Hilfe zur Selbsthilfe ist auch bei den älteren Migrantinnen und Migranten ein gutes Prinzip. Kaum eine Migrantengruppe hat so viel nutzbare, aber brachliegende Erfahrung in dieser Gesellschaft. Es kann nicht richtig sein, dass wir zulassen, dass diese Erfahrung dem Älterwerden ungenutzt entgegenschlummert. Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert aber auch nur, wenn wir Möglichkeiten zur Selbstorganisation herstellen. Darum möchte ich Sie und uns alle bitten."

 

Brillkreuzung umgestalten

Vor knapp einem Jahr wurde der Senat auf grüne Initiative hin aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, wie die Brillkreuzung für FußgängerInnen und FahrradfahrerInnen besser gestaltet und das Stephaniviertel besser an die Innenstadt angebunden werden könne. Aus einer Verkehrsschneise soll wieder ein städtischer Raum entwickelt werden, der verbindet statt trennt.

Hierzu legte der Senat für die heutige Stadtbürgerschaftssitzung einen Bericht vor. "Wie wir dem entnehmen, geht das alles nicht so schnell, wie wir uns das gewünscht haben", so Karin Krusche in der Debatte. "Gleichwohl: Zwei wichtige Maßnahmen werden bzw. sind umgesetzt. Erstens werden im März oder April die Ampel-Grünzeiten für FußgängerInnen und RadfahrerInnen deutlich verlängert. Das ist ein erster wichtiger Schritt! Und zweitens wurde der Brilltunnel geschlossen und damit eine wesentliche Voraussetzung für das Gesamtkonzept zur Aufwertung der Brillkreuzung geschaffen."

Zur Ermittlung geeigneter Maßnahmen wurde vom Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa eine Verkehrsuntersuchung in Auftrag gegeben. Darin werden folgende Möglichkeiten für bauliche Veränderungen Am Brill und an der AOK-Kreuzung als Voraussetzung für u.a. mehr Aufenthaltsqualität überprüft:

  • Einstreifigkeit der Bgm.-Smidt-Straße zwischen Am Wall und Weser unter Beibehaltung einer separaten Linksabbiegespur in die Martinistraße
  • Einstreifigkeit der Bgm.-Smidt-Straße zwischen Am Wall und Weser mit Entfall der Linksabbiegemöglichkeit in die Martinistraße
  • Fußgängerquerung Bgm.-Smidt-Straße in Höhe der Schlachte
  • Haltestellenverlegungen Am Brill
  • Abriss der Hochstraße Am Wall
  • Optimierungspotenzial für die AOK-Kreuzung
  • Anbindung des Parkhauses Am Brill an die Bgm.-Smidt-Straße

Im Rahmen dieser Untersuchung werden die Auswirkungen der Maßnahmen im Straßennetz der Innenstadt und in den angrenzenden Stadtteilen aufgezeigt und die Leistungsfähigkeiten von Knotenpunkten überprüft. Zur Gewährleistung der verkehrlichen Funktionsfähigkeit wird eine Verkehrssimulation für den Abschnitt Schlachtequerung – Am Brill – AOK-Kreuzung durchgeführt. Die Ergebnisse der Verkehrsuntersuchung fließen in die weiteren Planungen zur Entwicklung des Ansgariviertels (Einzelhandelsentwicklung in der Innenstadt) ein. Erste Ergebnisse der Verkehrsuntersuchung für den Bereich Am Brill werden bis zur Sommerpause 2010 erwartet. Die Untersuchung soll bis Herbst 2010 abgeschlossen sein.

"Das ist noch verdammt lange hin", bedauerte Krusche, "aber wenn das Ergebnis eine stadtverträgliche Brillkreuzung nach sich zieht, dann hat sich das Warten gelohnt."

 

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