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Verkehrsanbindung der Überseestadt umfassend und innovativ planen

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Verkehrsanbindung der Überseestadt umfassend und innovativ planen
Die Überseestadt ist eine wahre Erfolgsgeschichte. In Bremens jüngstem Stadtteil – dem Ortsteil Walle – werden künftig rund 11.000 Menschen wohnen und deutlich über 20.000 Menschen arbeiten. Die dynamische Entwicklung des Quartiers wurde jedoch nicht in vollem Umfang vorausgesehen. Angesichts der aktuellen Verkehrssituation ergibt sich ein klarer Handlungsbedarf für ein umfassendes Mobilitätskonzept. Insbesondere zu Stoßzeiten kommt es an bestimmten Knotenpunkten zu erheblichen Staus. Besonders betroffen sind hierbei die Straßen Hansator und Auf der Muggenburg. Eine zusätzliche Belastung der Verkehrsinfrastruktur ist nur in geringem Umfang möglich. Nicht nur durch die Erschließung der Überseeinsel ist mit einem weiter zunehmenden Verkehrsaufkommen zu rechnen. Wie kann eine rasant wachsende Überseestadt in den nächsten 10-15 Jahren adäquat erschlossen und angebunden werden?
Noch immer wird der Verkehrsträgermix, der sogenannte Modal Split, maßgeblich durch mehr als 50 Prozent Autoverkehr geprägt. In der Gesamtstadt lagen wir bei 36 Prozent, mit weiter abnehmender Tendenz. Dies ist alles andere als zukunftsfähig. Da Autoverkehr eine sehr platzintensive Mobilitätsform ist, müssen dringend andere Alternativen gestärkt werden. Die einzige Therapie gegen den Verkehrskollaps ist weniger Autoverkehr und die Schaffung innovativer Alternativen. An einem Standort am Fluss und Hafen mit kreativem Potenzial sowie touristischer Bedeutung dürfen und müssen andere Mobilitätsformen integriert mitgedacht werden.
1. Straßenbahnausbau
Die Straßenbahn in die Überseestadt bis Waller Sand hat höchste Priorität. Derzeit ist eine Führung über die Horneckestraße (Überseeinsel) die Vorzugsvariante. Die Überseeinsel wäre mit Bussen nur schwer anzubinden. Die weitere Führung ginge über eine kombinierte Straßenbahn-, -Fuß- und Radbrücke über den Europahafen. Die Brücke könnte eingleisig geführt werden. Die verschiedenen Herausforderungen des Brückenbaus beispielsweise durch den Hochwasserschutz sind jetzt vorrangig zu klären. Alternativ muss deshalb die Führung über die Konsul-Smidt-Straße in der Prüfung bleiben, weil die Straßenbahnerschließung eines der zentralen Projekte der Organisation der Mobilität in der Überseestadt ist.
2. S-Bahn-Anbindung
Die Straßenbahn ist mit einem S-Bahn-Haltepunkt „Überseestadt“ zwischen Oldenburger Kurve und Neustadtsbahnhof an der Schnittstelle mit der Straßenbahn sinnvoll zu kombinieren und zu optimieren. Damit erhielten Pendler*innen aus den Bereichen Delmenhorst/Oldenburg eine attraktive Verbindung in die Überseestadt. Die grundsätzliche Machbarkeit ist gegeben. Teilweise wird ein viergleisiger Ausbau notwendig sein, der räumlich umsetzbar ist. Der verkehrliche Nutzen wäre groß.
3. Radverkehrsanbindung
Die Anbindung der Zu- und Abgangsrouten der Überseestadt für den Radverkehr an die Bahnhofsvorstadt und den Bremer Hauptbahnhof zählt zu den Schlüsselprojekten der Verkehrsentwicklungsziele. Sie ist als beschlossene Sofortmaßnahme im Bereich Radverkehr ein Bestandteil der 2018 abgeschlossenen Integrierten Verkehrskonzeption (IVK). Damit soll die Überseestadt und angrenzende Bereiche besser mit dem Fahrrad an die Bahnhofsvorstadt und den Hauptbahnhof Bremen angeschlossen werden. Durch diese Maßnahmen soll ein geändertes Nutzerverhalten gefördert sowie ein verbesserter Modal Split erzeugt werden.
Seit fünf Jahren liegt eine Machbarkeitsstudie vor, die bisher kaum umgesetzt wurde. Maßnahmen für den Radverkehr (wie auch Busverkehr) haben die größten messbaren kurz- und mittelfristigen Effekte zur Verbesserung der verkehrlichen Situation in der Überseestadt und sind vergleichsweise finanziell günstiger als ÖPNV-Projekte. Sie müssen deshalb Priorität erhalten. Wir greifen hier deshalb einige besonders wirksame Maßnahmen auf:
- Die Doppelkreuzung Doventor ist die größte Barriere auf dem Weg in die Überseestadt aus der Innenstadt. Zudem wäre der fahrradfreundliche Umbau ein bedeutsamer Lückenschluss für die Radpremiumroute D 15 im Anschluss an den Wallring. Dies ist daher zu priorisieren.
- Mehrere Straßen mit bedeutsamer Funktion im Binnenverhältnis der Überseestadt sollten zu Fahrradstraßen ausgebaut werden z. B. An der Reeperbahn, Am Kaffee-Quartier, Am Speicher XI (mit abgefrästem Kopfsteinpflaster) und Johann-Jacobs-Straße.
- Ampelsteuerungen – gerade an wichtigen Knotenpunkten – sollten fahrradfreundlich optimiert werden z. B. Eduard-Schopf-Allee/B 6, Nordstraße/Emder Straße, Auf der Muggenberg/Lloydstraße.
- Bedeutsam ist die Beschilderung. Die Beschilderung sollte sich an der bestehenden Ausschilderung von Hauptrouten in Bremen orientieren. Mit einem Beschilderungssystem werden Routen besser auffindbar und touristisch wirksam. Radfahrende fühlen sich ernst genommen.
- Fahrradwege müssen mindestens auf Regelmaße verbreitert werden (Konsul-Smidt-Straße, Auf der Muggenburg, Kommodore-Johnsen-Boulevard). Die gesamte Überseestadt sollte über Fahrradwege verfügen. Überdachte, sichere Abstellmöglichkeiten müssen ausgebaut werden.
4. Seilbahn als ÖPNV-Ergänzung
Seilbahnen stellen eine sinnvolle Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr dar - das hat mittlerweile auch die Bundesverkehrswegeplanung anerkannt. Laut Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) sind Seilbahnen zu 75 Prozent förderfähig; angesichts der aktuellen Haushaltslage wäre vermutlich sogar eine Förderung von 90 Prozent möglich. Grundsätzlich sind Seilbahnen kostengünstiger als Straßenbahnen. Je nach Komplexität (Systemgröße, Masten, Stationen, etc.) sind Investitionen zwischen 10 und 15 Millionen Euro realistisch. Auch die Betriebskosten fallen durch den geringeren Personalbedarf vergleichsweise niedrig aus.
Damit Seilbahnen eine sinnvolle Alternative darstellen, müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein:
- Begrenzte Streckenlänge: Die Seilbahnstrecke darf nicht zu lang sein. Die geplante Strecke von Use Akschen über Überseestadt-Nord bis nach Woltmershausen misst etwa 3 km.
- Wenige Haltepunkte: Eine geringe Zahl von Stationen ist vorteilhaft, da neue Haltepunkte jeweils zusätzliche ÖPNV-Anbindungen erfordern würden. Im hier skizzierten Vorschlag ist nur ein Halt am Waller Sand vorgesehen.
- Keine Führung über Wohnbebauung: Die geplante Strecke würde keine nennenswerte Wohnbebauung überqueren.
- Tangentialverbindung: Die Seilbahn erschließt ein Gebiet, das nicht durch den ÖPNV angebunden werden kann.
Aus diesen Gründen ist die von der CDU vorgeschlagene Streckenführung vom Straßenbahndepot Gröpelingen bis zum Neustädter Bahnhof ungeeignet, nicht zuletzt, weil am Depot keinen ausreichenden Platz für eine Station gäbe.
Wir schlagen daher eine Führung von Gröpelingen (Use Akschen) in die Überseestadt mit einem Haltepunkt in der Überseestadt (Waller Sand) nach Woltmershausen zur Prüfung vor. Eine Verbindung mit einer Straßenbahn in die Überseestadt wäre organisch gut machbar. Ebenso mit dem ÖPNV-Netz in Woltmershausen. Diese muss die Bedingungen der standardisierten Berechnung für die Förderfähigkeit erfüllen. Barrierefreiheit und Fahrradmitnahme sollten realisiert werden. Deshalb haben wir höhere Kosten kalkuliert. Es wären spezialisierte Planer*innen für dieses Projekt zu gewinnen. Diese Maßnahme wäre schneller zu realisieren als eine Brücke und wäre preiswerter. Für Brücke wie für Seilbahn an dieser Stelle wären im Übrigen die Belange der Seeschifffahrt in Gesprächen mit dem Bund zu klären. Die erforderliche Durchfahrtshöhe könnte auf etwa die Hälfte des bisherigen Maßes (44 Meter) reduziert werden – ein Vorteil bei sehr starkem Wind. Dies wäre sinnvoll in Gesprächen mit dem Bund zu klären auch bei dem geplanten Neubau der Bürgermeister-Smidt-Brücke, wo Seeschifffahrt noch geführt wird. Die Anbindung der Bremischen Häfen darf durch diesen Vorschlag nicht eingeschränkt werden. Inzwischen sind auch Seilbahnen im Hochgebirge durch ein weiteres Seil stabil bei Windereignissen nutzbar, sodass ein Betrieb nahezu ganzjährig möglich wäre. Falls der Bereich weiterhin für die Seeschifffahrt benötigt wird, wäre auch eine höhergelegte Seilbahn technisch machbar, wenn auch mit höheren Kosten.
Insgesamt würde diese Verbindung die Überseestadt deutlich besser anbinden und wäre ein sinnvoller Baustein im Angebot der BSAG. Die Anbindung von Woltmershausen, Tabakquartier, Neustadt und Güterverkehrszentrum (GVZ) wäre verbessert. Wegelängen würden sich zum Teil erheblich verkürzen.
5. Fähren als Alternative
Alternativ könnte diese Strecke auch durch Fähren mit optimierten neuen Fähranleger in Woltmershausen dargestellt werden. Ab Mitte April verbindet die saisonale Weserfähre bereits die beiden Weserseiten bis Oktober. Pünktlich zum Oster-Wochenende nahm am Karfreitag die Weserfähre in der Bremer Überseestadt wieder ihren Betrieb auf. Sie bringt bis Anfang Oktober Ausflügler vom Einkaufszentrum Waterfront zum Molenturm in Walle. Außerdem legt das Schiff am Lankenauer Höft in Rablinghausen an. Die Fähre fährt samstags, sonntags und an Feiertagen, immer im Halbstundentakt. Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist bei dieser Verbindung nicht optimal und wäre besser zu planen.
Fähren und Seilbahnen sollten in einer Stadt am Fluss wie Bremen als Teil des öffentlichen Nahverkehrs mitgedacht werden. Der Anschluss an den ÖPNV ist bei Fähren dabei schwieriger als bei Seilbahnen. Die Fährschifffahrt stellt für die BSAG ein neues Aufgabenfeld dar, für das zunächst entsprechendes Know-how aufgebaut werden müsste. Die Leistungsfähigkeit wäre vermutlich geringer als bei einer Seilbahn. Die Kosten wären möglicherweise aber auch geringer. Eine Förderfähigkeit über GVFG (ohne die Fähren) wäre ebenfalls gegeben. Aus ökologischen Gründen kämen für uns ausschließlich elektrisch betriebene Fähren in Frage. Auch im Bereich der Überseeinsel sollte eine Fähranbindung geprüft werden bis der Wesersprung West realisiert ist.
6. Wesersprung West
Der geplante Wesersprung West macht als letzter Baustein weiterhin großen Sinn. Der Wesersprung West soll Woltmershausen mit der Überseestadt verbinden und wird durch eine dynamische Stadtentwicklung auf beiden Weserseiten begründet. Der Wesersprung West soll eine Annäherung der beiden Seiten historisch eng miteinander verzahnten Stadtteile wiederherstellen. Diese Verbindung war aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwandels der Werften- und Hafenindustrie zwischenzeitlich verloren gegangen. Dies wäre eine kombinierte Rad/Fuß- und ÖPNV-Brücke mit der Möglichkeit, auch Fernwärme über die Weser zu transportieren. Auch dabei wäre zu prüfen, ob der Bereich als Seeschifffahrtsstraße verzichtbar wäre.