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Positionspapier zur Kindgerechten Stadtentwicklung

Positionspapier zur Kindgerechten Stadtentwicklung

Kind auf Fahrrad von LeMenna (iStock)

Kinder machen einen großen und wichtigen Teil unserer Gesellschaft aus. In Bremen bilden Kinder bis 14 Jahre einen Anteil von ungefähr 14% der Gesellschaft, Tendenz steigend. Dabei könnten die Interessen, Präferenzen und Bedürfnisse von Kindern in unserem Stadtbild noch besser berücksichtigt werden. Aus unserer Sicht sollten Kinder als wahrnehmbare und ernstzunehmende Akteur*innen und Expert*innen ihrer eigenen Bedürfnisse stärker in Entscheidungen einbezogen werden.

Um eine Stadt zu schaffen, in der sich alle Mitglieder wohl und sicher fühlen, sich entfalten können und gehört werden, bedarf es einer neuen Perspektive und Umgestaltung durch die Augen der Kinder. Kinder sind keinesfalls eine Art kleine Erwachsene, sondern haben eigene Bedürfnisse und Vorstellungen, die oftmals nicht durch Erwachsene vorhergesagt oder abgebildet werden können. Dennoch ist es bislang oft die Norm, dass fremdbestimmt durch Entscheidungsträger*innen festgelegt wird, was Kinder mögen oder erleben sollen und wie ihr Lebensumfeld gestaltet wird.

Das Ziel ist bereits seit vielen Jahren ein anderes. Bereits vor über 30 Jahren wurde mit der UN-Kinderrechtskonvention ein Meilenstein gelegt. Im Fokus liegen die freie Entfaltung, die eigenständige Partizipation und der Schutz von Kindern in allen Lebensbereichen und Situationen. Auch in der Bremer Landesverfassung ist seit Mai 2021 verankert, dass Kinder einen Anspruch auf Beteiligung haben, wenn Entscheidungen sie betreffen. Unsere Städte, also der eigene und täglich wahrgenommene Lebensraum, sollte hierbei eine Priorität darstellen.

Daher werden Kinder und Jugendliche in Bremen bei der Gestaltung von Spielplätzen und Aufenthaltsorten inzwischen immer mehr mit eingebunden. Außerdem wurde für einige Stadtteile eine Spielleitplanung angefertigt, die die Stadt als Erlebnis- und Aufenthaltsraum – gemeinsam mit den Kindern vor Ort – untersucht, auf Probleme aufmerksam macht und Perspektiven für die kindgerechte Weiterentwicklung in den Stadtteilen aufzeigt. Das kann eine gute Grundlage sein, doch die Umsetzung dieser Spielleitplanung hat keine Verbindlichkeit.

Um Kinder angemessene Partizipationsmöglichkeiten in der Planung, Erforschung und Gestaltung ihrer Stadt zu geben, müssen Erwachsene in einen kommunikativen Prozess mit Kindern treten und Kinder als Expert*innen anerkennen. Diese Prozesse resultieren in Maßnahmen und Projekte, welche sich insbesondere auf die sozialen und räumlichen Strukturen der Stadt, den Verkehr und die Mobilität sowie Klima und Umwelt beziehen. Kommunen, welche sich dazu verpflichten, die Interessen von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen, können durch UNICEF und das Deutsche Kinderhilfswerk als kinderfreundliche Kommunen anerkannt werden. Damit die Bremer Stadtentwicklung zukünftig auch die Interessen der Kinder umfassend berücksichtigt, fordern wir die Umsetzung folgender Punkte:

  1.  Entwicklung einer Kinder- und Jugendbeteiligungsstrategie: Kinder müssen bei der Gestaltung ihrer Lebensräume in Bremen und Bremerhaven frühzeitig berücksichtigt und, wo möglich und sinnvoll, bereits in der Planungsphase ihrem Alter entsprechend beteiligt werden. Die Grünen-Fraktion fordert daher die Entwicklung einer Kinder- und Jugendbeteiligungsstrategie, die eine Partizipation der Kinder und Jugendlichen auch bei stadtentwicklungspolitischen Entscheidungen sicherstellt, und zwar auch für Heranwachsenden, die bisher nicht erreicht werden. Hierfür muss geprüft werden, welche Formate eine solche Partizipation bei unterschiedlichen Planungsprozessen ermöglichen können. Dabei soll auch das Format der Spielleitplanung evaluiert, die Einführung einer Verbindlichkeit geprüft und entsprechend der Ergebnisse verstetigt werden. Es muss sichergestellt werden, dass Kinder beteiligt und/oder ihre Belange in stadt- und verkehrspolitischen Entscheidungen mitgedacht werden.
  2. Beteiligung über Lernplattform it’s learning ausweiten: Das Rathaus nutzt seit März 2022 die Lernplattform it‘s learning, um Jugendbeteiligung im Stadtteil zu stärken. Grundsätzlich setzt diese neue Art der digitalen Teilhabe an der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen an und eröffnet eine breitere Beteiligung. Wichtiger Bestandteil muss jedoch auch die gezielte Einführung und Begleitung durch Lehrkräfte sein, damit Schüler*innen den Mehrwert erkennen und sich tatsächlich z.B. bei konkreten Umfragen zu Themen des Stadtteils beteiligen. Um insbesondere auch jüngere Kinder über it´s learning zu erreichen, fordern wir die Ausweitung des Formats auf alle Schulstufen. Gleichzeitig darf bei der Nutzung dieses Formates nicht vernachlässigt werden, bei jüngere Kinder betreffenden Projekten über andere Formate auch Kinder im Kindergartenalter mit einzubeziehen. Zudem sollte die Beteiligung nicht nur an den Schulort gebunden sein, sondern auch im Wohngebiet ermöglicht werden.
  3. Kindgerechte Orte auch abseits von Spielplätzen: Eine Beteiligung von Kindern kann sicherstellen, dass für Kinder ansprechende Räume, in denen sie sich entfalten können, geschaffen werden. Im öffentlichen Raum bestehen für Kinder andere Gefahren als für Erwachsene, dies muss bei der Planung berücksichtigt und Gefahren ausgeschlossen werden. Die Räume müssen für Kinder problemlos und sicher zugänglich sein, damit Kinder sich individuell, sozial, kognitiv und motorisch ausleben können. Diese Räume müssen über traditionelle Sport- und Spielplätze hinausgehen. Kinder brauchen die Möglichkeit, sich frei, kreativ und spielerisch auszuleben und mit anderen Kindern in Kontakt kommen zu können. Kinder spielen überall, wo es für sie interessant ist, und nicht nur an vorgegebenen Plätzen. Auch informelle und nicht als Spielort in der Stadtplanung gekennzeichnete Räume können als Ort für Kinder fungieren. Brachliegende Rest- oder übrige Grünflächen, die für andere Vorhaben möglicherweise nicht geeignet sind, sollten auf ihr Potential, für und mit Kindern zu kindgerechten und spannenden Orten gestaltet zu werden, überprüft werden.
  4. Kinderperspektive bei aktuell und zukünftig geplanten Projekten einbeziehen: Ein gegenwärtiges Beispiel ist die “Strategie Bremen Centrum 2030+”. Bremens Innen- und Altstadt soll laut Strategie jünger, moderner und insbesondere für Kinder und Familien einen attraktiven und spannenden Wohn- und Erlebnisraum darstellen. Dies und die Erfüllung der weiteren gesetzten Ziele, wie offener Freiräume für alle oder einer aktiveren Mobilität, gelingt jedoch nur, wenn auch die Zielgruppe der Kinder an der Planung und Umsetzung dieser Strategie, beziehungsweise dieses Leitfadens, partizipieren dürfen.
  5. Kinderperspektive für den Bereich Verkehr und Mobilität: Kindern muss es im Rahmen ihrer Fähigkeiten möglich sein, sich selbstständig und vor allem sicher im Straßenverkehr zu bewegen. Die aktuelle Situation im Straßenverkehr birgt für Kinder oftmals viele Gefahren, die für sie oft nicht einmal einsehbar sind. Erschwerte Sichtverhältnisse durch parkende Autos, hohe Zäune oder Hecken machen ein Überblicken des Verkehrs für Kinder sehr schwer. Es bedarf hier besserer und an Kinder angepasster Sichtverhältnisse durch zum Beispiel mehr beruhigte Verkehrsbereiche, mehr sogenannte “Gehwegnasen” und gekennzeichnete Fußgängerüberwege oder Zebrastreifen. Insbesondere im Bereich von Bus- und Bahnhaltestellen sind Fußgängerüberwege und Zebrastreifen essenziell, damit Kinder öffentliche Verkehrsmittel sicher erreichen können.
  6. Kindgerechte Baustellenführung: Bauarbeiten, durch welche Kinder von ihrem täglichen und bekannten Alltag und Weg abweichen müssen, bilden ebenfalls eine große Hürde. Es muss bei der Planung von Baustellen daran gedacht werden, wie diese Veränderung für Kinder verständlich gemacht werden kann und wie Kinder sicher mit der neuen Situation auf ihrem alltäglichen Weg zur Schule, zum Spielplatz oder zum Kiosk umgehen. Große Gefahren, wie beispielsweise die Sicht behindernde Schilder oder eine für Kinder unverständliche und unübersichtliche Verkehrsführung, müssen im Vorfeld bedacht, geprüft und umgangen werden.
  7. Temporäre Spielstraßen und Begegnungszonen schaffen: Der öffentliche Raum muss als Ort der Begegnung verstanden und als solcher auch von allen Menschen genutzt und gestaltet werden können. Wir Grünen begrüßen die Möglichkeit der Einrichtung von Temporären Spielstraßen, welche solche Möglichkeiten bieten. Durch die Schaffung von verkehrsberuhigten Bereichen oder sogenannten Begegnungszonen, wie es sie in anderen Ländern schon gibt, können weitere Orte des Miteinanders entstehen. Bei „Begegnungszonen“ handelt es sich um ein Modell, welches ohne einen großen Kostenaufwand schnell veränderbar ist und dadurch flexibel auf eine veränderte Bewohner*innenstruktur reagieren kann. Im Gegensatz zum verkehrsberuhigten Bereich können solche Zonen auch außerhalb von Gebieten mit geringem Verkehrsaufkommen für eine Verkehrsberuhigung sorgen und Fußgänger*innen den Vortritt einräumen. Der Verkehrsraum wird so für Kinder, die zu Fuß unterwegs sind, sicherer. Gleichzeitig wird die Aufenthaltsqualität insgesamt erhöht. Die rechtlichen Grundlagen zur generellen Einrichtung solcher „Begegnungszonen“ wollen wir auf Bundesebene befördern. Parallel möchten wir in einem Modellversuch bereits jetzt Begegnungszonen in Bremen umsetzen und die Erfahrungen der Anwohner*innen, insbesondere unter Einbezug von Kindern, evaluieren.
  8. Bremen und Bremerhaven als kinderfreundliche Kommunen: Auf Basis der Umsetzung dieser Punkte muss es Ziel von Bremen und Bremerhaven sein, von UNICEF und dem Deutschen Kinderhilfswerk offiziell als kinderfreundliche Kommunen anerkannt zu werden. 

Bremen, den 28. August 2023