Verkehr

Familienfreundlichkeit und Nahmobilität

Schulweg (by djedzura iStock)

Schulweg (by djedzura iStock)

Innovative Instrumente für Kinder und Erwachsene im Verkehr

Die Bundesregierung hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung dafür eingesetzt, Innovationen im Verkehrsbereich zu fördern. Pilotversuche und Modellprojekte sollen leichter erprobt werden und bei positiven Erfahrungen schneller in die Straßenverkehrsordnung übernommen werden. Bremen hat eine lebhafte Tradition für Innovationen und Modellversuche im Verkehrsbereich. Dieses Papier setzt sich dafür ein, vorhandene Instrumente besser und wirkungsvoller im Sinne einer sicheren und bequemeren Nahmobilität zu fördern. Es schlägt zwei neue Modelle vor, die in Verkehrsversuchen erprobt werden sollen. Grundsätzlich steckt der Ansatz dahinter, den Verkehrsraum nicht nur zum Abstellen und Befahren durch Autos zu nutzen sondern im Sinne von mehr Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit attraktiver für schwächere Verkehrsteilnehmer*innen zu gestalten. Die Verantwortung und das Engagement von Bewohner*innen wollen wir stärken.

1. Fahrradstraßen

Die Herbststraße in Findorff war die erste Fahrradstraße Deutschlands, die leider nach einer Kanalbaumaßnahme nicht wiederhergestellt wurde. Inzwischen haben wir in Bremen 17 Fahrradstraßen. Das Instrument Fahrradstraße ist nicht in geeigneter Weise weiterentwickelt worden. Zwar sind Fahrradstraßen ein wichtiges Element bei der Gestaltung der Radpremiumrouten in Bremen. Hinsichtlich Gestaltung und dem möglichen Netzcharakter als auch der Zahl der eingerichteten Fahrradstraßen in den letzten Jahren ist ein Stillstand festzustellen. Wir haben in Bremen die Praxis, dass in allen Fahrradstraßen Autos als Gäste willkommen sind. Durchgangsverkehr wie in der Parkallee ist zu unterbinden. Tempo 30 ist aus Verkehrssicherheitsgründen in einer Straße mit Fahrradvorrang der Verkehrssicherheit hinderlich. Die Geschwindigkeit sollte sich an der Normalgeschwindigkeit des Radverkehrs orientieren. Die Richtlinie für Fahrradstraßen brauchte fast zwei Jahre für eine Überarbeitung. Wir fordern den Senat auf:

  • sich dafür einzusetzen, dass das Überholen von Fahrrädern in Fahrradstraßen durch Autos nicht mehr erlaubt bleibt.
  • eine Überprüfung des Bestandes vorzunehmen und die Standards der neuen Richtlinie schrittweise anzupassen.
  • eine Gesamtplanung zu entwickeln, die sich dem möglichen Netzcharakter von Fahrradstraßen auf Stadtteilebene abseits von Hauptverkehrsstraßen und Radpremiumrouten widmet. Durchgangsverkehr ist zu vermeiden und die maximale Zielzahl für Autoverkehr pro Tag in der Richtlinie zu reduzieren.
  • sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die erlaubte Höchstgeschwindigkeit für Autos in Fahrradstraßen auf 20 km/h reduziert wird. Zu prüfen, in welchen Bremer Fahrradstraßen eine Temporeduzierung für Autos auf 20 km/h wegen Verkehrssicherheit geboten wäre.
  • in Absprache mit dem Beirat Findorff die Wiedereinführung der Fahrradstraße Herbststraße zu prüfen und ggf. umzusetzen und zwar als „historische“ erste Fahrradstraße Deutschlands.
  • zu prüfen, welche Straßen als nur für den Fahrradverkehr zugelassene Fahrradstraßen ausgewiesen werden können.
  • eine Informationskampagne für Bürger*innen zum Verhalten in Fahrradstraßen aufzulegen.

2. Geschützte Fahrradstreifen (Protected bike lanes)

Eine komfortable und die sicherste Führung für den Radverkehr sind geschützte Radstreifen. Gerade, wenn man mit Kindern unterwegs ist, sind sie ein sicheres Angebot. Geschützte Radstreifen sind von den Flächen und Querschnitten sicher nicht überall denkbar. Sie sollten genug Breite für ein Nebeneinanderfahren besitzen und werden durch Poller oder andere Maßnahmen gegen ein Befahren gesichert. Wir fordern den Senat auf:

  • geeignete Standorte für geschützte Radstreifen zu ermitteln.
  • an mehreren geeigneten Standorten diese Radstreifen zu erproben und begleitend zu evaluieren.

3. Zebrastreifen

Ursprünglich gab es sehr viele Zebrastreifen in Bremen. Dann setzte sich die irrige Meinung bei den Verkehrsplanern durch, dass durch Zebrastreifen eine trügerische Sicherheit für Fußgänger*innen entstehe. Dies ist durch Gutachten und Untersuchungen inzwischen widerlegt. Trotzdem setzt das Amt für Straßen und Verkehr Zebrastreifen nur sehr zögerlich um. In Tempo 30-Bereichen werden Zebrastreifen immer abgelehnt. Berlin hat nach einem erfolgreichen 100-Zebrastreifen-Programm gleich ein neues aufgelegt. Wir fordern den Senat auf:

  • Zebrastreifen in Abwägung mit anderen Querungshilfen wie Ampeln, Inseln, seitliche Nasen verstärkt einzusetzen und ein 25 ZebrastreifenProgramm für Bremen aufzulegen („Zebras für Bremen“). Die Beiräte werden gebeten, Vorschläge zu machen.
  • sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Zebrastreifen auch in Tempo 30Bereichen verstärkt verwendet werden können.
  • das Instrument in Bremen auch jetzt schon in 30erZonen zu nutzen, weil es nicht ausgeschlossen ist.

4. Verkehrsberuhigter Bereich, sogenannte „Spielstraßen“

Wohnstraßen sollen sicher und von Durchgangsverkehr möglichst wenig belastet sein. Ein Instrument, was auch Kinderspiel ermöglicht, sind die verkehrsberuhigten Bereiche, die man auch „Spielstraßen“ nennt. Dafür müssen die Bordsteine abgesenkt werden. Das Parken wird so organisiert, dass die Sichtbarkeit deutlich verbessert wird. Die Umbaukosten sind so hoch, dass dieses Instrument nur bei Kanalbaumaßnahmen und Neubauten geprüft wird. Wir fordern:

  • bei Kanalbaumaßnahmen bei der Wiederherstellung und bei der Neuanlage von Straßen das Instrument „verkehrsberuhigter Bereich“ grundsätzlich zu prüfen und verstärkt einzusetzen.
  • die Einhaltung der entsprechenden Regeln für Verkehrsteilnehmer*innen in Spielstraßen verstärkt zu kontollieren.
  • eine Informationskampagne für Bürger*innen zum Verhalten in Spielstraßen aufzulegen.

5. Öffnung Einbahnstraßen im Gegenverkehr

Viele Städte haben inzwischen die beidseitige Befahrbarkeit von Einbahnstraßen für den Radverkehr umgesetzt. Von Bremen ausgehend ist diese Regelung inzwischen in der bundesweiten Straßenverkehrsordnung (StVO) enthalten und wird seit den späten 1990er Jahren teilweise flächendeckend in Tempo 30-Zonen so praktiziert. Das Instrument hat sich bewährt. Vereinzelt ist diese Öffnung nicht geschehen oder die Schilder sind abgenommen worden. Wir fordern:

  • eine Überprüfung, ob die Öffnung in allen Einbahnstraßen umgesetzt wurde.

6. Fahrradzone

Das Fahrradmodellquartier ist eine Fahrradzone, die aus einem System von Fahrradstraßen besteht, was mit Pumpstationen, Abstellmöglichkeiten, gutem Belag oder einem sog. „Repaircafe“ aufgewertet wird. In Bremen wird es zunächst zwei geben: in der Alten Neustadt und im Ellener Hof. Beide Projekte wurden erheblich durch Bundeszuschüsse gefördert. Das Fahrradmodellquartier Alte Neustadt gewann den Deutschen Fahrradpreis 2018 in der Kategorie Infrastruktur. Die Konzeptidee ist in einem Positionspapier der Grünen-Bürgerschaftsfraktion entwickelt worden. Bislang gibt es nicht die Möglichkeit, mit einem Schild Fahrradzone auszuschildern, sondern es muss eine Vielzahl von Fahrradstraßenschildern verwendet werden. Wir fordern:

  • dass in der Straßenverkehrsordnung die Einrichtung von Fahrradzonen mit einfacher und übersichtlicher Gestaltung aufgenommen wird. Es ist zu prüfen, ob es Reglungsbedarf bezüglich der Standards einer Fahrradzone gibt. Der Senat soll entsprechend aktiv werden.
  • die Ausweitung dieser Bereiche als auch die Verknüpfung mit bestehender und zukünftiger Radinfrastruktur planerisch vorzubereiten.

7. Bewohnerparken

Bei diesem Modell können Bewohner einen Bewohnerparkausweis für (zu) wenig Geld erwerben, wenn sie ihren Hauptwohnsitz in dem entsprechenden Bereich haben. Der Bereich darf maximal eine Ausdehnung von 1.000 Metern haben. Benachbarte Bewohnerparkzonen sind ausgeschlossen. Das Instrument ist gut geeignet, um in geeigneten Bereichen Pendlerparkverkehre oder temporäres Veranstaltungsparken zu reduzieren. Im Barkhofquartier hat es dazu eine umfängliche Evaluation gegeben. Es gibt eine umfangreiche Rechtsprechung zu diesem Thema angefangen mit der Umbenennung des Anwohnerparkens in Bewohnerparken. Eine Reduktion der ausgegebenen Parkausweise ist denkbar; zum Beispiel nicht mehr als 1,5 Fahrzeuge pro Stellplatz oder nur einen Ausweis pro Haushalt. In Bremen wird das Instrument seit Jahren kaum verwendet. Für den Bereich zwischen Herbststraße und der Findorffstraße in Findorff könnte dies beispielsweise eine gute Lösung für den Schutz vor veranstaltungsbezogenem Parkverkehr an der Bürgerweide sein.

Wir fordern:

  • das Instrument Bewohnerparken wieder verstärkt zu nutzen und rechtssicher auszugestalten.

Darüber hinaus schlagen wir die Durchführung und Unterstützung von zwei Pilotversuchen von neuen innovativen Modellen in Bremen vor. Wir regen eine Verstetigung des Bremer Modells „temporäre Spielstraßen“ an. Die im Folgenden aufgeführten drei Modelle mit sozio-kulturellen Elementen (temporäre Spielstraßen, Schulstraßen, Familienstraßen) setzen gezielt auf die Partizipation der Anwohner*innen und Betroffenen: Sie sind nur bei einer unterstützenden Akzeptanz realisierbar.

8. Temporäre Spielstraßen

Nach Frankfurt ist Bremen die zweite Stadt, die erfolgreich das Modell der temporären Spielstraßen eingeführt hat. In sechs Bremer Straßen darf an einem Wochentag in der Woche von 15 bis 18 Uhr gespielt werden (zumeist in der Zeit vom 1.4. bis 30.9. eines Jahres). Die Straße wird dafür entsprechend beschildert und in der entsprechenden Zeit gesperrt. Zumeist gibt es Zusatzangebote für die spielenden Kinder. Das Instrument hat sich bewährt. Es funktioniert nur, wenn die Anwohner*innen das Instrument aktiv unterstützen. Deswegen ist es an der Zeit, es in der Straßenverkehrsordnung rechtsicher aufzunehmen. Wir fordern:

  • dass der Senat durch eine Bundesratsinitiative versucht, das Instrument der temporären Spielstraßen in die Straßenverkehrsordnung aufzunehmen.

9. Schulstraßen

Zu viele Kinder werden mit dem Auto zur Schule gebracht, was in Schulanfangszeiten zu Sicherheitsproblemen vor Schulen führt. Es ist unser Ziel, die Zahl der sogenannten Elterntaxis zu reduzieren („Generation Rücksitz“). Erwiesenermaßen steigt der Lernerfolg, wenn sich die Kinder mit dem Rad oder zu Fuß zur Schule bewegen.

Positive Erfahrungen mit Schulstraßen gibt es in Südtirol schon seit Jahren. In Bozen gibt es Schulstraßen seit mehr als 20 Jahren. Die Anzahl der auf dem Schulweg verletzten Kinder ist seitdem um fast die Hälfte gesunken. In zweiter Spur parkende Autos, hektisches Aussteigen, dahinter Autos, die nur durchfahren wollen, aber im Stau stecken geblieben sind: Das schadet vor vielen Schulen morgens der Verkehrssicherheit. Das zu vermeiden, war das Ziel eines erfolgreichen  Verkehrsversuches, der im Bereich der Ganztages-Volksschule (GTVS) der Vereinsgasse in der Leopoldstadt (Wien) täglich 30 Minuten lang, von 7.45 bis 8.15 Uhr, eine Schulstraße eingerichtet hat. Die Durchfahrt war untersagt, Kinder müssen die letzten Meter auf dem Weg zur Schule ungehindert vom Verkehr zu Fuß gehen. Der Anteil an Kindern, die nicht mit dem Auto zur Schule gelangen, ist signifikant erhöht worden. Das Modell wird auf andere Schulen in Wien übertragen. Anfragen zum Pilotversuch kamen aus Städten wie Krakau, Berlin und Montreal, die sich am Wiener Modell orientieren.

Wir setzen uns an geeigneten Standorten für ein Pilotprojekt Schulstraßen in Bremen ein, das eindeutig unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr durchgeführt wird. Drei Erfahrungen aus Wien sind dabei zu berücksichtigen. Es muss eine Regelung für behinderte Kinder mit Behindertenausweis geben. Das Modell ist gut mit Anwohner*innen abzustimmen. In Wien wurden mit dem Einsatz von temporär aufgestellten Scherengittern positive Erfahrungen gesammelt. Eine reine Beschilderung führte häufig zur Missachtung der Regelung.

10. Familienstraßen

In der Schweiz gab es vor zehn Jahren ein Projekt Begegnungsstraßen: Das war so etwas wie eine „Spielstraße light“. In einem verkehrsberuhigten Bereich, der normalerweise Spielstraße genannt wird, muss es Bordsteinabsenkungen und Umbaukosten in einem erheblichen Umfang geben. Die Familienstraße ist ein flexibles Modell, welches schnell veränderbar ist, wenn zum Beispiel die Zahl der Kinder signifikant abnimmt. Es orientiert sich an den Begegnungsstraßen. Eine Alternative zu diesem neuen Modell wäre die Absenkung der Standards für den verkehrsberuhigten Bereich. Die Rahmenbedingungen sind:

  • klare Eingangs und Ausgangssituation signalisiert durch Transparente und/oder andere Elemente
  • keine Bordsteinabsenkungen
  • eine große Mehrheit der Anwohner*innen unterstützt das Projekt
  • deutliche Elemente in und außerhalb der Fahrbahn wie Sitzbänke, Basketball oder Fußballfeld, Rollerparkplatz, die signalisieren: Hier ist eine veränderte Situation.
  • Reduzierung der Autoparkplätze zum Beispiel durch einseitiges Parken
  • Veränderbarkeit, zum Beispiel, wenn die Zahl der Anwohnerkinder deutlich abnimmt
  • viel geringere Kosten im Bestand. Normalerweise werden Spielstraßen nur im Neubau und gelegentlich bei Kanalbaumaßnahmen erwogen. Dies Modell erlaubt flexiblere und kostengünstigere Modelle der Verkehrsberuhigung.
  • wie im verkehrsberuhigten Bereich gilt Schrittgeschwindigkeit.

Wir fordern den Senat auf, diese Modelle zu prüfen.

Bremen, 25. März 2019

Positionspapier als PDF