Arbeit | Gleichstellung

Positionspapier zur aktuellen Situation in und rund um die Helenenstraße

Bild von Vulkanhorn (CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons)

In Bremen findet seit einiger Zeit eine neue, heftige Kontroverse zum Thema Prostitution und speziell zur Zukunft der Helenenstraße statt. Unter dem Eindruck der als dramatisch empfundenen Sicherheitslage im Viertel ist die Diskussion verständlicherweise emotional sehr aufgeladen. Um dieser Situation angemessen und lösungsorientiert begegnen zu können, ist eine Einordnung der unterschiedlichen Bedingungen, unter denen Prostitution stattfindet, dringend notwendig. Denn Prostitution reicht vom Escort-Service über die Wohnungs- oder Bordellprostitution bis hin zur Straßenprostitution und findet dabei nicht nur in der Helenenstraße im Viertel statt. Für eine lösungsorientierte Debatte ist daher die Trennung der Ausprägungsformen in selbstbestimmte sowie ausbeuterische und illegale Zwangsprostitution zentral.

Mit der Gruppe der wenigen Personen vor Augen, die aus eigener Entscheidung in der Prostitution arbeiten, wurde im Jahr 2002 die Ausübung der Prostitution legalisiert. Das damals eingeführte Prostitutionsgesetz hat die bis dahin geltende Sittenwidrigkeit der Prostitution abgeschafft. Ziel dieser Gesetzesänderung war es Prostitution und Prostituierte im wörtlichen Sinne aus dunklen und gefährlichen Ecken herauszuholen und ihnen einen geschützten Rahmen für ihre Tätigkeit zu eröffnen. 2017 wurde mit dem Prostituiertenschutzgesetz die Situation von Prostituierten dahingehend verbessert, dass nun mit einem Anmeldeverfahren der Zugang zu Informations- und Aufklärungsgesprächen ermöglicht wurde. Bei diesen können sich seitdem die anmeldenden Personen über die Sozialgesetzgebung in Deutschland, über Beratungsangebote und die Inhalte des neuen Gesetzes informieren.

Grundlegendes Ziel des Gesetzes war es, Prostituierte besser zu schützen und (organisierte) Kriminalität effektiver bekämpfen zu können. 20 Jahre später müssen wir feststellen, dass die Ziele nicht erreicht wurden. Weder liegen ausreichende Daten zum Gewerbe vor, noch hat der Menschenhandel ab-, sondern zugenommen. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ist ein Verbrechen. Menschenhandel und Zwangsprostitution müssen daher europaweit effektiver bekämpft werden.

Wir als Grüne in Bremen gehen weiterhin davon aus, dass legale Prostitution bessere Kontrollmöglichkeiten bietet als dies bei der Kriminalisierung von Prostitution der Fall wäre. Und doch stellen wir fest, dass es dringend eine Reform des Prostitutionsgesetzes und eine neue Debatte zum Umgang mit Prostitution braucht.

Situation in der Helenenstraße

Die Grenzen zwischen legaler freiwilliger Prostitution und Ausbeutung in der Prostitution sind oft fließend und machen es schwierig zu unterscheiden, wo selbstbestimmte Arbeit in der Prostitution beginnt und endet. Soziale Not, Drogenabhängigkeit, Schulden, unklarer Aufenthaltsstatus und Marginalisierung können Prostituierte zu Opfern von ausbeuterischen Verhältnissen und gewalttätigen Übergriffen durch Zuhälter und Freier werden lassen. In den letzten Jahren ist die Armutsprostitution sowie die ausbeutende Prostitution vor allem von Personen aus Südosteuropa, Westafrika oder auch aus Syrien und Afghanistan sichtbarer geworden.

Das Sichtbarwerden von Armutsprostitution, ausbeuterischen Verhältnissen, Zuhälterei und „ungeniertem Massen-Freiertum“ ist aktuell vor allem für die Helenenstraße festzustellen. Seit einiger Zeit werden Prostitution und all ihre Begleiterscheinung von Anwohner*innen zu Recht als beeinträchtigend, beängstigend und vor allem als entwürdigend für die prostituierten Frauen erlebt. Vor Ort braucht es dringend Maßnahmen, die eine Rückkehr zu einem verträglichen Miteinander von Bewohner*innen und legalem Gewerbe zulassen.

Für uns Grüne sind daher folgende Maßnahmen dringend notwendig:

  1. Jede Frau und allgemein jede Person, die mit Prostitution ihr Auskommen finden muss, ist eine zu viel. Daher fordern wir die Ausweitung der bereits existierenden und sehr gut angenommenen Ausstiegsprogramme.
  2. Wir setzen weiterhin auf die hervorragende Arbeit der niedrigschwelligen, mehrsprachigen Beratungs- und Hilfsangebote in Bremen und Bremerhaven (wie BBmeZ, Nitribitt oder MoBa, Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit beim Gesundheitsamt), denn nur durch dieses Beratungsnetzwerk können wir Prostituierte überhaupt erreichen, ihnen Schutz bieten, Ausbeutungsrisiken eindämmen und Ausstiegsoptionen aufzeigen.
  3. Die offen zur Schau gestellte Zuhälterei auf dem Ziegenmarkt gehört unterbunden. Wir erwarten die umgehende strafrechtliche Verfolgung derjenigen, die auf offener Straße von den Prostituierten abkassieren.
  4. Darüber hinaus braucht es in den Abendstunden eine ständig ansprechbare Polizeipräsenz und eine intensive lichttechnische Ausleuchtung des Ziegenmarktes, um so dem dauerhaften Verweilen von Freiern und Zuhältern auf dem Ziegenmarkt entgegenzuwirken.
  5. Die beiden aktuell vorliegenden Bauanträge sollen die bauliche Situation in Teilen der Helenenstraße verbessern. Wir gehen davon aus, dass die potentiellen neuen Betreiber*innen einer intensiven Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen werden und erwarten, dass bei dem geringsten Anschein einer kriminellen Verortung KEINE Zulassung erteilt wird.
  6. Grundsätzlich fordern wir eine stärkere Überprüfung der Situation in der Helenenstraße und aller Betreiber*innen von Prostitutionsstätten in Bremen und Bremerhaven. Wir setzen auf die volle Ausschöpfung der Kontrollmöglichkeiten durch das Wirtschaftsressort (Gewerbebehörde), sowie durch das Innenressort (K44).
  7. Um eine weitere Erhöhung der Anzahl der Prostitutionsstätten in der Helenenstraße zu unterbinden fordern wir den Senat auf gemeinsam mit dem Beirat vor Ort schnell die dafür notwendigen planungs- und gewerberechtlichen Möglichkeiten zu prüfen.

Bremen, den  07. November 2023