Bildung

Wie wir die Lehramtsausbildung attraktiver machen können

Bessere Lehrkräfteversorgung durch ein duales Lehramtsstudium!

Burak Sür - iStock

Wie wir die Lehramtsausbildung attraktiver machen können

Der bundesweite Lehrkräftemangel stellt eine große Belastung für Schulen und Lehrkräfte dar. Auch in Bremen fehlen bereits jetzt viele Lehrkräfte, und bis 2030/31 müssen laut Prognosen über 3000 neue Lehrkräfte eingestellt werden. Das ist eine große Herausforderung. Um möglichst lückenlos eine gute Unterrichtsqualität gewährleisten zu können, muss es unser Ziel sein, ausreichend und gut ausgebildete Lehrkräfte für unser Land zu gewinnen. Unsere Schüler*innen verdienen das.

Längst hat ein Wettbewerb um Fachkräfte begonnen. Um mehr Lehrkräfte zu akquirieren braucht es deswegen besonders attraktive Angebote– auch gerade hinsichtlich der vielen anderen interessanten Studienmöglichkeiten. Dafür müssen verschiedene und vielleicht bisher unkonventionelle Wege gegangen werden. Im März 2024 hat die Kultusminister*innenkonferenz das Strategiepapier „Maßnahmen zur Gewinnung zusätzlicher Lehrkräfte und zur strukturellen Ergänzung der Lehrkräftebildung“ beschlossen. Darunter eine momentan heiß diskutierte Maßnahme, die wir Grünen für Bremen und Bremerhaven sehr passend finden: die Einrichtung eines dualen Lehramtsstudiums.

Realitäten anerkennen: Auch jetzt schon viele Lehramtsstudierende an Schule tätig

Wir haben derzeit die Situation in Bremen, dass viele Lehramtsstudierende im Master über den Verein Stadtteil-Schule an Bremer Schulen eingesetzt werden. Sie arbeiten parallel zum Masterstudium bis zu 11 Stunden pro Woche an den Schulen. Diese frühe Praxiserfahrung ist grundsätzlich als positiv zu bewerten. Das Problem besteht jedoch darin, dass ihr Einsatz weder zeitlich noch inhaltlich mit dem Studium abgestimmt ist, wie Studierende uns immer wieder zurückmelden. So wird teilweise die Teilnahme an Seminaren und Vorlesungen versäumt. Das kann sich negativ auf den Studienerfolg und die Dauer des Studiums auswirken, und damit auch auf die Verfügbarkeit ausgebildeter Fachkräfte. Ein duales Studium bietet durch eine bessere direkte Betreuung und damit Unterstützung für die Studierenden die Chance, Abbruchquoten zu verringern.

Gleichzeitig gibt es schon länger die Kritik, dass das Lehramtsstudium generell–und bundesweit– mehr Praxisorientierung vertragen könnte. Ein duales Lehramtsstudium könnte beiden Ansprüchen gerecht werden.

Konzentration aufs Studium statt finanzieller Sorgen

Vorteile gibt es dabei aber noch viele mehr. Studierende würden bereits im Rahmen ihres Studiums ein Gehalt bekommen, was das Lehramtsstudium attraktiver machen würde, v.a. auch für Studienbewerber*innen aus Elternhäusern mit weniger Geld. Die Wissenschaftlerin und Bildungsexpertin Anne Sliwka stellt klar, dass duale Studiengänge leistungsstarke Bewerber*innen aus der unteren Mittelschicht anziehen, weil sie hier direkt Geld verdienen und sich somit ihr Studium finanzieren können. Da viele Studieninteressierte aus Familien mit Migrationsgeschichte leider oft über weniger finanzielle Mittel verfügen, würde ein Gehalt, ggf. zusätzlich zum BAföG, zur Gewinnung dieser Zielgruppe beitragen. Lehramtsstudierende mit Migrationsgeschichte bringen Fähigkeiten mit, die an Schulen mehr denn je gebraucht werden. Neben oftmals einer Muttersprache, die auch von vielen Schüler*innen gesprochen wird, können sie auch sehr gut nachvollziehen, mit welchen Herausforderungen sich Schüler*innen mit Migrationsgeschichte in unserem Bildungssystem konfrontiert sehen.

Insgesamt könnten auch andere Zielgruppen für die Ausbildung als Lehrkraft geworben werden, welche durch das bestehende Angebot bisher nicht erreicht werden. Das bietet die Chance, mehr Menschen für ein Lehramtsstudium zu gewinnen und so bestehende Personallücken zu schließen. Gleichzeitig ist eine Attraktivierung anderer Personengruppen auch ein entscheidender Baustein, um das Kollegium vielfältiger aufzustellen– beispielsweise auch durch Personen, die bereits praktische Berufserfahrung in anderen Bereichen haben, und für die ein duales Studium attraktiver sein könnte.

Identifizierung mit den Bremer Schulen

Ein duales Studium bindet die Lehrkräfte zudem, je nach Anreiz- bzw. Gehaltsmodell, für eine längere Zeit an den Bremer Schuldienst, was dem Abbau des Fachkräftemangels in diesem Bereich dient. Neben dem finanziellen Anreiz sind diese Studierenden schon „im System drin“, haben sich an den Schulen und in den Kollegien eingefunden, identifizieren sich im besten Fall bereits mit einer Schule oder einem Stadtteil, sodass sie gern dortbleiben. Gleichzeitig kann der Praxisbezug Studierenden bereits vor dem Referendariat zeigen, ob der Lehrer*innenberuf das Richtig für sie ist, und einen Studienwechsel im Zweifelsfall früher ermöglichen. So werden dann für andere wieder Studien- und Referendariatskapazitäten frei.

Auch in Hinblick auf Inklusion kann ein duales System die Attraktivität für Studierende steigern und sie gleichzeitig an das Land Bremen binden. Inklusiver Unterricht findet in Bremen, im Gegensatz zu in vielen anderen Bundesländern, flächendeckend statt. In der Praxis können Studierende attraktive methodisch-didaktische Konzepte erlernen und anwenden. Diese Erfahrung kann ein Studium in Bremen wie auch den Verbleib an einer inklusiven Bremer Schule nach dem Studium attraktiv machen.

Eine gute Verzahnung von Theorie und Praxis

Hochschulen und Wissenschaftler*innen melden uns zurück, dass sie in einigen Forschungsbereichen wie z.B. in der Sprachförderung eigentlich schon weiter sind, die wichtigen Erkenntnisse aber zu spät an den Schulen Anwendung finden. Auch wenn eine gewisse Verzögerung wohl in der Natur der Sache liegt, wird hier viel Potenzial vergeudet. Bei einem dualen Studium ist es idealerweise so, dass Theorie und Praxis besser verzahnt werden: das Studium wird praxisorientierter und gleichzeitig kommen zielführende wissenschaftliche Forschungsergebnisse und Handlungsempfehlungen schneller in der Praxis an. Das trägt am Ende natürlich auch zu einer besseren Qualifizierung der angehenden Lehrkräfte bei und damit zu positiven Bildungskarrieren bei den Schüler*innen.

Bessere Einsatzsteuerung

Darüber hinaus birgt ein duales Studium auch das Potenzial einer besseren Einsatzsteuerung der angehenden Lehrkräfte an den Schulen. Aktuell können sich Master-Studierende über den Verein Stadtteil-Schule quasi aussuchen, an welche Schule sie gehen möchten. Im Dualen Studium wäre ein Einsatz der Studierenden auch an den Schulen möglich, die besonders hohen Bedarf haben. So würde auch Bremen-Nord profitieren, wo bisher kaum Studierende des Stadtteil-Schule e.V. anlanden. Eine verbesserte Einsatzsteuerung, z.B. durch eine verlässliche Anzahl an Lehramtsstudierenden pro Schule könnte Ruhe ins System bringen. Auch Bremerhaven könnte bereits im dualen Studium besser aktiv einbezogen werden.

Die Perspektive des Wissenschaftsrats und der Kultusministerkonferenz

Ein duales Lehramtsstudium erhöht bei einer entsprechenden Schwerpunktlegung auf sogenannte Mangelfächer die Chance, zusätzliche Studierende, beispielsweise für MINT-Fächer, zu gewinnen. Der Wissenschaftsrat hat im Juli 2023 „Empfehlungen zur Lehramtsausbildung im Fach Mathematik“ veröffentlicht und empfiehlt ein duales Lehramtsstudium Mathematik. Dies würde das Potential bieten, Mathematik nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten, sondern sie gleichzeitig in Schulstoff und Alltag einzubetten. Diese Verzahnung von Theorie und Praxis kann auch für andere Fächer wertvoll sein, da sie das Studium so attraktiver machen und insbesondere in sogenannten Mangelfächern die Zahl der Studierenden anheben kann.

In dem Papier zu „Maßnahmen zur Gewinnung zusätzlicher Lehrkräfte und zur strukturellen Ergänzung der Lehrkräftebildung“ stellt die KMK drei verschiedene Modelle für duale Lehramtsstudiengänge vor. Aus Sicht der Grünen-Fraktion eignet sich für das Land Bremen als Einstieg vor allem das Modell des praxisintegrierten dualen Masterstudiums.

Das Rad nicht ganz neu erfinden

Ein Angebot an praxisorientierten und dualen Studiengängen im Bereich Lehramt gibt es bereits in anderen Bundesländern: In Flensburg kann man z.B. Sonderpädagogik im dualen Master of Education studieren. Die öffentlich einsehbaren Rückmeldungen der Studierenden sind überwiegend positiv, weil man so auch “im fortgeschrittenen Alter noch einmal neue Wege einschlagen kann“. Aus Flensburg wissen wir, dass der duale Studiengang derzeit nicht KMK konform ist; der Vorbereitungsdienst am dortigen Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) erfolgt im Quereinstieg, wird aber nichtsdestotrotz mit der Staatsprüfung ‚Lehramt Sonderpädagogik‘ abgeschlossen. Auch an der BTU Cottbus-Senftenberg soll es bald möglich sein, Grundschullehramt, ebenfalls zunächst im Master, praxisorientiert zu studieren. In Baden-Württemberg plant die Landesregierung zum Wintersemester 2024/2025 einen dualen lehramtsbezogenen Masterstudiengang als Modellversuch.Mit all diesen Akteur*innen sollten Gespräche aufgenommen werden, um für Bremen die besten Ansätze zu vereinen. Durch das positive Bekenntnis der KMK zum dualen Lehramt die Aussicht darauf, dass in Bezug auf die Konformität zeitnah eine konkrete Festlegung entstehen kann.

Professionalisierung muss im Mittelpunkt stehen

Es ist wichtig, dass die Professionalisierung der angehenden Lehrkräfte im Fokus steht. Es wäre dementsprechend sinnvoll, wenn die Studierenden zu Beginn des Studiums primär in den Hochschulen sind und an den Schulen erst einmal nur mit den Lehrkräften mitlaufen. Die Praxisteile und übernommenen Aufgaben können dann im weiteren Verlauf zunehmen. Bei der genauen Ausgestaltung sollte natürlich zwischen dualem Master und Bachelorstudium unterschieden werden. Auch müssen die Schulen verstärkt als Ausbildungsstätten verstanden und dementsprechend ausgestattet werden.

Für eine attraktivere Lehrkräfteausbildung fordert die Bürgerschaftsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN daher:

  1. Die Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft und die Senatorin für Kinder und Bildung sollen zusammen mit der Universität Bremen, dem LIS, Magistrat Bremerhaven sowie Vertreter*innen aus der schulischen Praxis und weiteren relevanten Akteur*innen, umgehend die Rahmenbedingungen für ein Duales Studium eruieren und zeitnah ein Konzept für ein Duales Studium Lehramt vorlegen. Bei der Konzeptionierung eines dualen Lehramtsstudiums best-practise Ansätze und Erfahrungen aus anderen Bundesländern zu Rate zu ziehen.
  2. Auf Basis dieses Konzeptes soll der Senat die Einrichtung eines dualen Lehramtsstudiums in Bremen ergänzend zur vorhandenen universitären Lehramtsausbildung vorantreiben. Zuerst soll dabei als Modellvorhaben ein dualer Masterstudiengang an den Start gehen, mit Fokus auf Mangelfächer. Die Umsetzung und Durchführung soll im Anschluss evaluiert und auf Basis der Ergebnisse eine Ausweitung auf weitere Fächer sowie das Bachelorstudium angestrebt werden.
  3. Auf KMK-Ebene dafür zu werben, dass duale Lehramtsausbildungen bundesweit anerkannt und gefördert werden.