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Stahlkreisläufe schließen: Einrichtung einer Schiffsrecyclinganlage im Land Bremen möglich machen!

Dock mit Schiff by Victoria Koltsova (iStock)

Dock mit Schiff by Victoria Koltsova (iStock)

Stahl ist ein zentraler Werkstoff unserer Wirtschaft. Die Kompetenzen der Stahlindustrie haben eine Schlüsselfunktion für viele Sektoren unserer Wirtschaft, vom Eisenbahnbau über die Automobilherstellung bis hin zur Produktion von Windenergieanlagen. In Anbetracht der immer heftigeren Folgen der Klimakrise muss zugleich ein neues Kapitel der industriellen Produktion aufgeschlagen werden – sie muss emissionsärmer, energieeffizienter und ressourcenschonender werden.

Das Bremer Stahlwerk verfolgt einen ehrgeizigen Plan, um sein Produktionsverfahren nachhaltig zu verändern. Technologisch geht es dabei im Kern um den Umstieg von fossilen Energieträgern auf Strom und grünen Wasserstoff: Die alte Hochofenroute wird dabei ersetzt durch eine Kombination von elektrischem Lichtbogenofen und Direktreduktionsanlage. Aufbauend auf dem Abschlussbericht der Klima-Enquêtekommission verfolgt das Land Bremen in seiner „Klimaschutzstrategie 2038“ das Ziel, bereits 2032 eine CO2-freie Stahlproduktion in Bremen zu ermöglichen. Als Grüne unterstützen wir die Transformation des Bremer Stahlwerks daher mit aller Kraft.

Auch ein Mehr an Kreislaufwirtschaft ist unverzichtbar, um das Ziel der Klimaneutralität entlang der bisher CO2-intensivsten Stoffströme der Industrie zu erreichen. Im Fall der Stahlproduktion bedeutet Kreislaufwirtschaft grundsätzlich: Einsatz von Stahlschrott. Der Einsatz von Schrott ersetzt vor allem die Primärrohstoffe Eisenerz und Koks, wodurch Ressourcen geschont und Emissionen vermieden werden. Mit dem geplanten Wechsel der Energieträger gewinnt der kreislaufwirtschaftliche Ansatz an Bedeutung: Mit dem Einsatz eines Lichtbogenofens steigt der Schrottbedarf, da Schrott bei diesem Elektroverfahren das Hauptinputmaterial ist. Die Nachfrage der Stahlhersteller nach Schrott wird in den nächsten Jahren rapide wachsen: Erstens, da die globale Stahlnachfrage absehbar weiter wächst. Zweitens, weil die Stahlbranche ihre Elektroofenkapazitäten zügig ausweitet. Und drittens, weil der Einsatz von Stahlschrott ein wichtiger Hebel zur klimaschutznotwendigen Senkung der CO2-Emissionen in der Stahlproduktion ist. Die Gewinnung großer Schrottmengen ist für jeden Stahlhersteller daher eine zentrale strategische Aufgabe.

Wie wir als Grünen-Fraktion bei unserer Veranstaltung „Eine Stahlwerft für Bremen?“ am 30. August 2022 mit Vertreter*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Bundespolitik festgehalten haben, wird das Recycling von ausgedienten Schiffen als Quelle von Stahlschrott künftig eine immer größere Rolle spielen. Die Menge der zu recycelnden Schiffe wird in den kommenden Jahrzehnten weltweit deutlich steigen. Viele Schiffe erreichen das Ende ihres Lebenszyklus. Die mittel- bis langfristige Umstellung der Flotten auf nachhaltige Antriebe beschleunigt zudem die Aussortierung CO2-intensiver Altschiffe. Derzeit werden weltweit schätzungsweise zwischen 800 und 1200 Schiffe p.a. zerlegt. Perspektivisch wird diese Zahl auf bis zu 2500 Schiffe p.a. steigen. Bedeutsam ist dabei auch, dass die zu verschrottenden Schiffe immer größer werden und passende Recyclinginfrastrukturen benötigen. Schiffsrecycling ist damit eine dauerhafte und zudem wachsende Quelle von Stahlschrott.

Bisher wandern gigantische Mengen Stahlschrott aus Europa ab und werden anderswo unter oftmals horrenden Bedingungen recycelt.Wenn sie in die Jahre gekommen sind, werden Schiffe bislang zumeist an den Stränden von Indien, Pakistan oder Bangladesch verschrottet. Die Internationale Arbeitsorganisation bezeichnet die Arbeit auf den dortigen Schiffsschrottplätzen als eine der gefährlichsten Arbeiten weltweit. Beim sogenannten „beaching“ zerlegen Arbeiter zu Hungerlöhnen und vorbei an Arbeits- und Umweltschutzstandards per Hand Schiffsrümpfe, um den verbauten Stahl wiederzugewinnen. Um diese Zustände zu überwinden, zielen neuere EU-Regulierungen darauf, globale Arbeits- und Umweltstandards im Schiffsrecycling durchzusetzen. Diese sind im Hongkong-Abkommen zum Schiffsrecycling von 2009 festgehalten: Es sieht einheitliche Regelungen vor, z.B. bei der Auflistung von Gefahrstoffen und dem Ablauf des Recyclings. Durch Regulierungslücken konnten Reedereien lange Zeit solche Standards ignorieren, ohne Furcht vor rechtlichen Konsequenzen. Das änderte sich mit der 2013 verabschiedeten EU-Schiffsrecycling-Verordnung.

In ihrer Gesamtheit wirken also ökonomische Trends in der Stahl- und Schifffahrtsbranche sowie rechtliche und klimapolitische Rahmenbedingungen auf europäischer und globaler Ebene in Richtung einer erheblichen Expansion des Schiffrecyclingmarkts. In einigen EU-Mitgliedsstaaten gibt es bereits zertifizierte Schiffrecyclingstandorte – jedoch nicht in Deutschland. Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag (S. 28) erklärt, „den Schiffbau über die gesamte Wertschöpfungskette inklusive des Schiffsrecyclings als industriellen Kern in Deutschland“ stärken zu wollen.

Im Land Bremen sind die Standortbedingungen für die Einrichtung einer privat betriebenen Schiffsrecyclinganlage sehr gut: Erstens durch die besondere Lagegunst an der Nordsee und die Einbindung unseres Hafenstandorts in das globale Schiffsverkehrsnetz. Zweitens durch die Anbindung der bremischen Häfen an das Netz der Binnenschifffahrt, dessen überalterte Frachterflotte ebenfalls schrittweise recycelt werden muss. Drittens durch die bestehenden Werftinfrastrukturen, in denen die Tradition und die Kompetenz der maritimen Wirtschaft im Land Bremen zum Ausdruck kommen. Und viertens durch die Hütte als mögliche Nachfragerin von aus Altschiffen gewonnenem Stahlschrott.

In der Bremer Verwaltung ist das Thema angekommen. Die bisher angestellten Vorüberlegungen reichen aber nicht aus. Notwendig sind tiefergehende Analysen, die ressortübergreifend abgestimmt und schnell vorangetrieben werden müssen. Ziel muss es sein, schnellstmöglich die notwendigen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Schiffsrecyclinganlage zu schaffen. Die traditionellen Kompetenzen unseres Hafen- und Industriestandorts könnten damit als Zitate in ein neues industriepolitisches Kapitel eingebracht werden.

Die Grünen-Fraktion fordert daher:

  1. den erforderlichen Flächenbedarf zu ermitteln und potenzielle Standorte im Land Bremen für eine privat betriebene Schiffsrecyclinganlage zu identifizieren,
  2. die entsprechenden genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen für die Einrichtung einer solchen Anlage zügig zu klären,
  3. Unternehmen zu identifizieren, die eine solche Anlage entwickeln und umsetzen können, um diese im Falle einer Neuansiedelung bestmöglich zu unterstützen,
  4. im Dialog mit dem Stahlwerk sowie mit Unternehmen aus der maritimen Wirtschaft und der Abfallwirtschaft die Möglichkeit von Kooperationen auszuloten,
  5. an den in Frage kommenden Standorten die Belange von dort bereits ansässigen Unternehmen, anliegenden Nachbarschaften und lokalen Ökosystemen umfassend zu berücksichtigen,
  6. kurzfristig über die Fastlane „Dekarbonisierung und klimaneutrale Transformation der Wirtschaft“ finanzielle Mittel für die erforderlichen Planungsaufgaben bereitzustellen.

Bremen, den  10. März 2023