Wirtschaft

CETA stoppen - aus Bremen für einen fairen Welthandel

Im September 2014 wurde auf dem EU-Kanada-Gipfel der Abschluss der CETA-Verhandlungen gefeiert, hauptsächlich von EU-Kommission, kanadischer Regierung und den an den Ausarbeitungen maßgeblich beteiligten Wirtschaftslobbyist*innen bzw. folgend den Großkonzernen. Also von denjenigen, die in jahrelangen, streng geheimen Runden ohne Berücksichtigung von demokratischen Standards, wie der Einbeziehung von Parlamenten und ihrer Kontrollfunktion sowie der Öffentlichkeit, den Vertragstext verhandelt haben. Die europäischen und kanadischen Bürger*innen hatten folgerichtig mehrheitlich keinen Grund zum Jubeln, daran hat sich auch bis heute – trotz einiger kleiner Korrekturen – wenig bis gar nichts geändert. Die in weiten Teilen der europäischen Bevölkerung, von diversen Nichtregierungs-organisationen und unterschiedlichen politischen Parteien geäußerte Kritik ist nach wie vor aktuell und in keinster Weise behoben worden. Denn nach wie vor enthält der Vertragstext des CETA-Abkommens vielfältige Gefahren für unsere Art zu leben, für unsere (aber auch für kanadische) Standards und für den Primat der demokratischen Kontrolle der Gesellschaft. Folgend die wichtigen Kritikpunkte am Abkommen und wesentliche Gründe für eine Ablehnung in Bürgerschaft, Bundesrat und EU:

Internationale Schiedsgerichte sind undemokratisch und ermöglichen eine Paralleljustiz für Investor*innen und Konzerne

Internationalen Schiedsgerichten sollen bei Handelsverträgen mit Staaten ohne entwickeltem Rechtssystem und unabhängiger Justiz vor staatlicher Willkür schützen. Im Fall von CETA gibt es funktionierende Rechtssysteme und auch einen hohen Rechtsschutz für Investitionen. Hier sind die Schiedsgerichte ein klarer Fall von undemokratischer Paralleljustiz und Sonderklagerechten für ausländische Konzerne, da sie das nationale Recht umgehen und keinen Zugang für inländische Unternehmen, Privatpersonen oder Staaten bieten. Durch das Klagerecht bei so genannter „indirekter Enteignung“ erhalten Konzerne die Möglichkeit demokratische Entscheidungsprozesse zu untergraben. Sie können die Staaten bei einer möglichen Einschränkung der Gewinnerwartung durch Standards oder Vergabekriterien auf Millionen- oder sogar Milliardenbeträge verklagen. Der „regulatory chill“-Effekt, also allein die Klagemöglichkeit, kann zudem dazu führen, dass Regierungen Standards zum Schutz Bürger*innen oder Umwelt gar nicht erst einzuführen. Das Argument der EU-Kommission, die überarbeitete Regelung könne das Allgemeinwohl vor Konzernklagen schützen, kann hier nicht gelten, denn die Entscheidung über schützenswerte Standards, liegt nicht in der Hand der demokratisch gewählten Regierungen, sondern in denen der Schiedsrichter*innen. Diese sind keineswegs so unabhängig, wie es die EU-Kommission verkaufen will, wie auch der deutsche Richterbund beklagt (Deutscher Richterbund: Nr. 4/16). Insbesondere die Auswahlkriterien sieht der Richterbund kritisch. So müssen die angehenden Schiedsrichter*innen zwar Expert*innen auf den Gebieten des internationalen öffentlichen Rechts und des Investitionsrechts, eine Spezialisierung zumindest einiger Richter*innen auch in den Bereichen Arbeits-, Sozial-, Steuer- und Verwaltungsrecht, die für die Abwägung der unterschiedlichen Rechtsgüter von entscheidender Bedeutung wäre, wird hingegen nicht sichergestellt. Auch bei der finanziellen Unabhängigkeit der Richter*innen gibt es Zweifel: Keine klaren Kriterien zu Interessenkonflikten,  die vorgesehene Bezahlung und das fehlende Verbot von Nebentätigkeiten laden dazu ein, im Sinne der Konzerne zu entscheiden um weitere (lukrative) Aufträge an Land zu ziehen.

Arbeits-, Gesundheits-, Sozial-, Tierwohl-, Umwelt- und Verbraucher*innen-schutzstandards waren gestern: Mit CETA für bedingungslosen Profit

Auch unabhängig von dieser exklusiven Klagemöglichkeit sind die europäischen und kanadischen Standards bedroht. So sieht CETA den Abbau sogenannter „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ vor. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind aber nicht nur divergierende technische Produktnormen, sondern auch Standards in den Bereichen Arbeitnehmer*innenrechte, Tier- und Umweltschutz sowie Verbraucher*innenschutz. Diese Standards sind durch Klagemöglichkeiten, Absenkungen und neue oder veränderte Verfahren und Instrumente in Gefahr.

Ebenso gefährlich ist der Wegfall des in der EU gängigen und bewährten Vorsorgeprinzips. Statt dass wie bisher für Produkte, die neu auf den Markt kommen, zweifelsfrei nachgewiesen werden muss, dass keine negativen Auswirkungen auf Verbraucher*innen und Umwelt bestehen, wird dieses Prinzip im CETA-Vertragstext durch das in Kanada angewandte Nachsorgeprinzip ersetzt. Hier kommen neue Produkte direkt auf den Markt und erst wenn sich irgendwann negative Auswirkungen zeigen – also im Normalfall viel zu spät – besteht die Möglichkeit die Hersteller*innen auf Schadenersatz zu verklagen.

Auch die Rechte von Arbeitnehmer*innen sind durch CETA in Gefahr. Neben der Beseitigung der nicht-tarifären Handelshemmnisse und den Klagerechten sind auch die CETA-Formulierungen zu den Richtlinien der International Labour Organization  (ILO) prekär. So sieht der Vertrag zwar die Realisierung der ILO-Grundprinzipien vor, eine Verpflichtung zu den mindestens ebenso wichtigen, weil konkreteren ILO-Kernarbeitsnormen (von denen Kanada nur sechs ratifiziert hat) bleibt hingegen aus. Auch die ILO-Erklärung über menschenwürdige Arbeit soll nur „gefördert“ werden. Verstärkend kommt hinzu, dass CETA keine Sanktionsmöglichkeiten bei einem Verstoß gegen ILO-Verordnungen garantiert, obwohl die Praxis zeigt, dass sanktionslose Varianten nicht funktionieren.

Ein anderes Feld, das durch verschiedene Instrumente massiv in seinen Standards bedroht ist, ist die öffentliche Daseinsvorsorge. Nach negativen Erfahrungen mit der Privatisierung hat in der jüngeren Vergangenheit ein Trend zur Rekommunalisierung eingesetzt, der jetzt durch CETA konterkariert werden würde. CETA setzt (wieder) auf eine zunehmende Liberalisierung und Deregulierung und somit primär auf Profit und weniger auf Qualität und eine flächendeckende Versorgung. Ökologische und soziale Vergabekriterien, Sozial- und Arbeitsstandards, verschiedene Steuern und Abgaben sowie die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen sind durch die Deregulierung in Gefahr.

Verstärkend wirken zudem Instrumente wie Negativlisten, Stillstands- und Ratchet-Klausel. Negativlisten legen vorab fest, welche Dienstleistungssektoren von der Liberalisierung ausgeschlossen sind – eine Entscheidung, die flächendeckende Liberalisierungen und die Öffnung der Märkte als oberstes Gebot postuliert. Ausnahmen brauchen hingegen gut begründete Rechtfertigungen. Die Stillstandsklausel sorgt zudem dafür, dass kein Staat jemals unter das einmal erreichte Liberalisierungsniveau zurückgehen kann. Diese Zementierung auf das einmal erreichten Niveau ist aber nur eine einseitige Medaille, da die Ratchet-Klausel vorschreibt, dass weitere Liberalisierungen automatisch ein neues Niveau für alle Unterzeichnerstaaten darstellen.

Auch die Landwirtschaft und die Lebensmittelerzeugung sind unter anderem von den Standardabsenkungen negativ betroffen. Hier geht der generelle Trend hin zu mehr industrialisierten Produktionsstrukturen, Agrarindustrie und dem massiven Einsatz von Medikamenten und Chemikalien und weg von Landwirtschaft, Tierwohl, Umwelt- und Verbraucherschutz und regionalen Qualitätsprodukten.

Regulatorische Kooperation ermöglicht ein Fortschreiben des Konzerndiktats in eigentlich demokratischen Aufgabenbereichen

Allein die im Vertrag geregelte Gefahr für die Standards ist schon mehr als schlimm, doch darüber hinaus ist CETA als „lebendes Abkommen“ konzipiert, was weitere negative Folgen hat: Ein Regulierungsrat aus nicht gewählten Bürokraten soll über Gesetzesvorhaben im Entwurfsstadium beraten und überprüfen, ob diese Handels- und/oder Investitionsinteressen einschränken und diese gegebenenfalls ablehnen, gesellschaftliche Interessen werden bei dieser Entscheidung ausgeklammert. Auch nachträgliche Veränderungen und Erweiterungen des CETA-Vertrages sollen durch den Regulierungsrat beschlossen werden können. Bei all dem sind nationale und das Europäische Parlament(e) sowie die kommunale Selbstverwaltung ohne Einfluss und werden übergangen. Nicht übergangen werden hingegen Lobbyist*innen, die entsprechend der allgemeinen Praxis der CETA-Verhandlungen frühzeitig in die Regulierungszusammenarbeit eingebunden werden sollen – die Demokratie wird somit weiterhin ad absurdum geführt.

Es geht auch anders: Freihandel demokratisch, fair, nachhaltig, sozial und transparent gestalten

Trotz aller Kritik an CETA, Freihandel ist nicht per se etwas schlechtes, es kommt wie immer auf die Ausgestaltung an. Daher fordern wir einerseits CETA (und TTIP) stoppen - in der Bürgerschaft, in Bundesrat und Bundestag und auf der Straße! Andererseits fordern wir Freihandel fair, nachhaltig, transparent und vor allem auch multilateral zu gestalten, denn Freihandel hat Auswirkungen auf die ganze Welt: multilaterale Handelsverträge statt bilateraler Flickenteppiche.

Fairer Handel muss zum Ziel haben gute Lebensbedingungen für Alle zu schaffen. Das bedeutet der Fokus muss auf Arbeits- und Sozialstandards, Menschenrechten, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung, Umwelt- und Tierschutz sowie Verbraucher*innen liegen, der Profit steht frühestens an zweiter Stelle. Das bedeutet Schutzmechanismen für bäuerliche Märkte und die Förderung von Re-Regionalisierung der Branche, die Verankerung des Pariser Klimaschutzabkommens als Grundlage von Handelsverträgen und eine Folgenabschätzung von Handelsverträgen hinsichtlich der arbeitsrechtlichen und der sozialen Situation sowie der Umwelt. Eine besondere Berücksichtigung müssen die spezielle Situation so genannter Entwicklungsländer und die Einhaltung der Menschenrechte erfahren. Zur Umsetzung dieser Ziele sollte klar sein, dass fairer Handel gute und klare Regeln braucht, die einer wirksamen demokratischen Kontrolle und Gestaltung unterliegen – Klage- und Mitwirkungsprivilegien für Konzerne passen nicht in dieses Konzept.

Die Bürgerschaftsfraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN positioniert sich vor diesem Hintergrund wie folgt:

1.    Die Grüne Bürgerschaftsfraktion lehnt einseitige Sonderrechte, die das demokratische Rechtssystem umgehen und eine Paralleljustiz zum Schutz von global operierenden Konzernen und Investoren darstellen,  in Handelsabkommen ab.

2.    Nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind nicht notwendigerweise negativ. Zum Schutz von Arbeits-, Gesundheits-, Sozial-, Tierwohl-, Umwelt- und Verbraucher*innenschutzstandards können sie oftmals positiv sein.

3.    Das Vorsorgeprinzip ist zumindest auf europäischer Ebene die effektivste Methode zur Bekämpfung negativer Auswirkungen und daher nicht verhandelbar.

4.    Handelsverträge, die nicht einmal die ILO-Kernarbeitsnormen in wirksamer Weise berücksichtigen, sind abzulehnen.

5.    Eine kommunale Daseinsvorsorge kann deutliche Vorteile gegenüber einer rein privatisierten und deregulierten besitzen.

6.    Die (regionale) Landwirtschaft muss vor einer zu großen Einschränkung durch die Agrarindustrie geschützt werden.

7.    Die Aufgabe (kommunaler) demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten und der parlamentarischen Gesetzgebungskompetenz zu Gunsten von Lobbyist*innen und Konzernen sind aufs Schärfste zu verurteilen

Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen fordert den Senat auf:

1.    sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Bundesregierung im Rat der EU die vorläufige Anwendung von CETA ablehnt (sofern diese Entscheidung des EU-Rats zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gefallen ist),

2.    das Handelsabkommen CETA im Bundesrat abzulehnen sowie im Bundestag und in der Kommunikation mit den anderen Bundesländern für eine Ablehnung zu werben.