Rede

Rede zur Lebenssituation älterer MigrantInnen

Rede zur Lebenssituation älterer MigrantInnen

Herr Präsident, meine Damen und Herren

Als meine Fraktion gemeinsam mit SPD im September 2009 die große Anfrage zur Lebenssituation der älteren Migrantinnen und Migranten in Bremen an den Senat stellten, war uns klar, dass die Beantwortung nicht leicht sein würde. Der Senat hat es sich nicht leicht gemacht. Er hat versucht, den in den Teilfragen angesprochenen Aspekten gerecht zu werden. Ich möchte der Verwaltung und insbesondere Herrn Krancke herzlich dafür danken.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die gesellschaftliche Vielfalt nun auch endgültig unter den älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern Einzug gehalten hat. 180 Herkunftsländer kennzeichnen die Buntheit dieses Bevölkerungssegments unserer Stadt! Und das ist gut so!

Einerseits: Es ist für eine Stadt, deren Geschichte den Bogen zwischen Buten und Binnen umspannt hat, normal. Andererseits: Es bringt auch Probleme mit sich, wenn wir nur an die finanziellen Aspekte denken. Sozialversorgung, Gesundheitsversorgung, allein das Problem der Pflege - all dies sind Sorgen, die mit dem Gedanken an die ältere Bevölkerung einher gehen. Und wir wissen, dass diese Sorgen bei Menschen mit Migrationshintergrund besondere Dimensionen haben.

Es wird aus der Senatsantwort deutlich, dass wir dennoch an dem Grundansatz des sozialen Gemeinwesens, der sozialen Stadt festhalten. Unabhängig vom Alter und von der Herkunft wollen wir auch diesen Menschen eine möglichst breite gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Wir stecken die Menschenwürde nicht in den Sparstrumpf., meine Damen und Herren.

Um dieses zu verwirklichen, ist es notwendig, zielgruppenorientiert vorzugehen. 23 000 ältere Migrantinnen und Migranten, 15 000 so genannte junge Alte, das ist die Zielgruppe, die wir vor uns haben. Die meisten von ihnen sind als junge gesunde Menschen hierher gekommen. Sie kamen anfänglich mit der gleichen Vorstellung, mit der diese Gesellschaft sie auch empfing: dass sie irgendwann einmal wieder zurück gehen würden. Das bedeutete, dass sie sich hier ihren Platz suchen, zugleich aber den Kontakt zur alten Heimat aufrecht erhalten mussten. Das war für viele von ihnen ein regelrechter Spagat. Es brachte besondere psychosoziale Belastungen mit sich, die weder von ihnen selbst, noch - zumindest in der Anfangszeit - vom Sozial- und Gesundheitssystem überhaupt erkannt wurden.

Meine Damen und Herren, 50 Jahre hat es gedauert, bis unsere Gesellschaft den Weg vom Anwerbeland über das Aufnahmeland zum Einwanderungsland Deutschland gegangen ist. Fünfzig Jahre lang hat man diese Menschen gefragt: Wann geht ihr wieder? Dann, erst vor Kurzem, hat diese Gesellschaft sich besonnen und Integration auf ihre Fahnen geschrieben. Jetzt fragt sie diese Menschen: warum fühlt ihr euch nicht endlich als Deutsche zu Hause. Warum immer noch halb Italiener, halb Grieche, halb Türke usw. Können Sie sich vorstellen, dass Migrantinnen und Migranten in diesem Land sich die Augen reiben und gar nicht wissen wie ihnen geschieht?

Eben noch sollten sie ständig auf gepackten Koffern sitzen, plötzlich sollen sie bessere Deutsche sein als die Einheimischen! Gerade die Tausende von Arbeitsmigranten, die mitgeholfen haben, Bremen zu der schönen, modernen, liebenswerten Stadt zu machen, die es ist, sehnen sich nach Anerkennung dafür. Sie möchten, dass diese Stadt sich ihres Beitrages in all diesen Jahrzehnten bewusst ist.

Die wenigen verfügbaren Zahlen sagen uns, dass diese Bevölkerungsgruppe unter den geringer Verdienenden und Beziehern von Sozialleistungen eindeutig überrepräsentiert sind. Nicht wenige sind von Armut bedroht. Die Arbeitslosenstatistik hat nur Aussagen für Ausländer: 22,9 % sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Zahl für Migranten, auch ältere Migranten auch wenn sie nicht genannt werden kann, ist also noch höher. Und damit können wir von einem Hohen Armutsrisiko ausgehen, und von einem hohen Krankheitsrisiko im Alter.wegen der eher gesundheitsschädigenden Arbeiten.

Der Mangel an migrationssensibler Datenerhebung, der sich aus der Senatsantwort ergibt, erschwert eine angemessene Planung und Qualitätskontrolle der Versorgungsstrukturen. Sorgfältige Planung und Qalitätssicherung ist aber auch in diesem Bereich lebenswichtig. Sonst werden wertvolle Ressourcen vergeudet. Dabei gibt es hier bei uns durchaus Ansätze, die diese Mängel überwinden wollen. Die Studie von Prof. Monika Habermann ist ein Beispiel dafür. Hier sehe ich nach wie vor einen großen Handlungsbedarf!

Nun zu den vorhandenen Angeboten für Ältere.Wie werden sie von Migrantinnen und Migranten genutzt? Auch ohne punktgenaue Erhebung kommt der Senat zu dem Schluss: Diese Nutzung liegt weit unter dem Durchschnitt im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung. Aber das liegt vielleicht nicht nur an der fehlenden Information. Die mag ja besser als früher sein, auch wenn das Papier dazu keine Angaben macht.

Auch das Personal in den Einrichtungen ist sicherlich guten Willens. Könnte es vielleicht daran liegen, dass ältere Migrantinnen und Migranten kaum Mitgestaltungsmöglichkeiten haben? Dass in der Seniorenvertretung keine Migranten sitzen, bereitet mir Sorge. Auch beim Portal des Seniorenlotsen findet sich keine Mitgestaltung der Migranten. Ebenso wenig bei den Freiwilligen des Seniorenbüros und des Forums Ältere Menschen. All dies ist bedenklich. Gestatten Sie mir die Frage, ob es wirklich ausreicht, dass Vertretungsstrukturen grundsätzlich offen für Migrantinnen und Migranten sind. Kann man bei solcher Zurückhaltung von Integrationschancensprechen? Müssen nicht Zielgruppen wie diese "abgeholt" werden, wenn man tatsächlich an ihrer Partizipation interessiert ist? Ich denke hier müssen wir weiter diskutieren.

Ähnliches gilt für die Zusammenarbeit mit den Einrichtungen und Organisationen der Migranten selbst. Dass die Situationsbeschreibung zu diesem Punkt überhaupt nichts hergibt, muss bedenklich stimmen. In einer Zeit, wo wir uns in Bremen in allen Bereichen bemühen, die Zusammenarbeit mit den Migrantenorganisationen zu institutionalisieren, scheint dieser Trend den Bereich der Älteren einfach nicht erreicht zu haben. Etwas mehr Dialog als die Ansage, eine umfassende Erhebung liegt zu den Angeboten zum Beispiel der religiösen Einrichtungen nicht vor, hatten wir uns schon erhofft. Vielleicht muss man nicht gleich eine umfassende Erhebung in Angriff nehmen. Es würde ja schon nutzen, wenn man sich mal mit den Moschee- und Kulturvereinen Migrantenorgannisationen zusammensetzt und redet.

Was es anderswo längst gibt, kann Bremen auch: Begegnungsstätten unter Selbstverwaltung der Migranten, Räume für Ältere im Wohnviertel, niederschwellige Möglichkeiten der interkulturellen Begegnung auch im Alter, aber auch Angebote zur Begegnung zwischen den Generationen und insbesondere Kooperation mit den Einrichtungen, die in den Migrantengruppen verankert sind.

Gerade an solchen Punkten erweist sich eine gewisse Halbherzigkeit auf Behördenseite. Der eine oder andere in der Verwaltung mag sich vielleicht über die zusätzliche Arbeit geärgert haben. Sicherlich ist das Aufgabenfeld schwierig. Meine Bitte ist, Verständnis zu üben und dies kleine bisschen extra zu leisten, das für eine "Gesellschaft der Generationen" erforderlich ist.

Meine Damen und Herren, wir sind in der interkulturellen Diskussion schon weiter als was hier der Stand der Dinge ist. Hilfe zur Selbsthilfe ist auch bei den älteren Migrantinnen und Migranten ein gutes Prinzip. Kaum eine Migrantengruppe hat soviel nutzbare, aber brach liegende Erfahrung in dieser Gesellschaft. Es kann nicht richtig sein, dass wir zulassen, dass diese Erfahrung dem Älterwerden ungenutzt entgegenschlummert. Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert aber auch nur, wenn wir Möglichkeiten zur Selbstorganisation herstellen. Darum möchte ich Sie und uns alle bitten.

Herzlichen Dank