Rede zur Finanzmarktkrise

Rede zur Finanzmarktkrise

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Für die Bürgerschaftsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen möchte ich zu allererst feststellen: Wir unterstützen ausdrücklich die Entscheidung des Senats, im Bundesrat "Ja" zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz zu sagen; wir stimmen den Ausführungen und Begründungen zu, die die Senatorin für Finanzen für den Senat vorgetragen hat.

Ich hatte Verständnis für die Einwände, die die Bundestagsfraktion der Grünen im Gesetzgebungsverfahren vorgebracht hat; vor allem, was die Unklarheit der  Rechenschaftspflichten gegenüber dem Bundestag betrifft. Denn diese Unklarheit gilt natürlich erst recht für uns Landtage: Wir haben im Haushaltsausschuss regelmäßige Informationen durch den Senat vereinbart; aber was wird er uns berichten können? Das müssen wir bald wissen. Denn es geht am Ende – möglicherweise – auch um die Steuergelder, für die wir Verantwortung tragen. Es wird auch unsere Pflicht sein, Rechenschaft abzulegen darüber, ob die Vorschriften dieses Gesetzes von beiden Seiten eingehalten werden; ob auch die Banken ihren Beitrag leisten, den wir von ihnen erwarten, erwarten müssen.

Meine Damen und Herren, natürlich hat das 480-Mrd.-Ding bei aller Zustimmung keine Begeisterung ausgelöst. Die Menschen fragen sich und uns, wieso denn "Banker" mit öffentlichen Mitteln davor bewahrt werden, für die Folgen ihrer Fehler zu haften und grade zu stehen. Ich verstehe diese Fragen. Auch weil sich in diesen Kreisen zum Teil eine "Parallelgesellschaft" herausgebildet hat, die offensichtlich jegliche Bodenhaftung und jeden Kontakt zur normalen Welt verloren hat, oft in wirklich sehr empörender Weise. Herr Böhrnsen hat von "Gier statt Hirn" gesprochen; ich fürchte, es war oft noch gefährlicher: "Gier mit Hirn".

Deshalb will ich deutlich sagen: Wir machen das nicht für Banker. Wir helfen den Banken – und das sind zunächst auch Zehntausende von Arbeitsplätzen normaler Leute. Und vor allem: Es ist einfach so, dass diese Dominosteine, diese Bankentürme, heutzutage dicht beieinander stehen, sehr dicht; kaum einer könnte umfallen, ohne großen Schaden anzurichten oder gar eine ganz große Welle in Gang zu setzen. So ist die Realität.

Das Hilfspaket war und ist notwendig wegen der Sicherung der Spareinlagen. Wir können an der Verzweiflung der Bürger, die ihr Geld vielleicht bei Lehman oder einer isländischen Bank verloren haben, ja sehen, welche existenzielle Bedeutung die Sicherheit ihrer Geldanlage für die Menschen hat. Wir wollen alles tun, um ihnen durch die Aufstockung der Beratungsmöglichkeiten vor Ort zu helfen und insgesamt ihre Rechte beim Kauf von Finanzprodukten zu stärken. Dafür haben wir heute unseren Antrag eingebracht.

Das Hilfspaket war und ist richtig, um die Austrocknung der Finanzmärkte durch das sich ausbreitende lähmende Misstrauen zu beenden, die sich natürlich auch schnell auf die Kreditvergabe an die Wirtschaft auszuwirken drohte.

Ich halte die Maßnahmen, die im Gegenzug für die Hilfe des Staates ergriffen werden sollen, im Grundzug für richtig: die Eingrenzung der Gehälter, Verbot allgemeiner Dividendenzahlungen, angemessene Gebühren und Verzinsung des eingeschossenen Kapitals. Über die Einhaltung wacht übrigens zum Glück auch die EU-Kommission. Ich teile nicht die Auffassung, dass der Staat immer durch Teilverstaatlichung die direkte Kontrolle über die Banken übernehmen müsse. Sollten wir wirklich alle Banken zu einer Art "Landesbank" machen? Da reibt man sich verwundert die Augen, denn zu großem Optimismus ist ja gerade in dieser Richtung wenig, sehr wenig Anlass.

Mit wenigen Ausnahmen, füge ich gleich hinzu, und dazu gehört zu unserem Glück die Bremer Landesbank, die auf Grund ihrer zurückhaltenden Geschäftspolitik nach wie vor gut da steht. Es gibt nach unserer Auffassung keinerlei Anlass, sie in die Fusionsspekulationen dieser Tage mit einzubeziehen.

Also grundsätzliche Zustimmung zum Zeitpunkt und den Konditionen des Hilfspakets. Allerdings: wir sind jetzt in der Pflicht, ebenso schnell an der Beseitigung der Ursachen zu arbeiten und die Finanzmärkte zu regulieren. Ich nenne einige Maßnahmen, die die Grünen für wichtig halten – und das nicht erst seit gestern: Aufbau einer europäischen öffentlich-rechtlichen Ratingagentur; Verbot der Risikoauslagerung auf Zweckgesellschaften; Die Vorschrift: "Was die Bank verkauft, muss sie auch selbst halten"); ein TÜV für Finanzprodukte wie für andere risikoreiche Stoffe; Stärkung der Verbraucherrechte; grenzüberschreitende Aufsicht über grenzüberschreitende Banken; und eine Finanztransaktionssteuer zur Entschleunigung der internationalen Finanzmärkte.

Einiges müssen wir national regeln, Wichtiges können wir nur global regeln – der Beginn wird diese Woche versucht, aber Entscheidendes auf europäischer Ebene. Wir müssen endlich einen europäischen Binnenmarkt für Finanzprodukte aufbauen. Die europäischen Binnenmärkte sind ja regulierte Märkte, sie folgen gemeinsamen Regeln, das macht gerade ihre Bedeutung aus. Wir brauchen dringend einen solchen Binnenmarkt auch für Finanzprodukte. Wir Grünen wollen diesen Markt transparent machen und regulieren. Das heißt: weder laufen lassen noch strangulieren. Denn wir brauchen ihn.

Die Notwendigkeit, Märkte zu regulieren, gilt übrigens auch in ökologischer Hinsicht. Deshalb ist es ganz absurd, wenn die Bundesregierung jetzt z.B. mit Hinweis auf die Finanzkrise die Automobilbauer wieder von der Leine lassen will. Und es ist ganz falsch, wenn im Berliner Maßnahmenpaket alle Autos gleichermaßen von der Kfz-Steuer befreit werden sollen, auch die größten CO2-Schleudern. Je größer das Auto, desto höher die Ersparnis? Das kann nicht richtig sein. Und vor allem: So kommt die Autoindustrie nie aus der Sackgasse verfehlter Modellpolitik heraus.

Ich bin damit bei der Frage, wie sollen wir politisch auf die Anzeichen eines auch wirtschaftlichen Einbruchs reagieren? Ich kann die Menschen gut verstehen, die sagen: Wenn da auf einmal 480 Mrd. Euro für die Banken vorhanden sind (was nicht stimmt), dann muss doch auch Geld da sein für diese und jene gute, dringliche Sache. Geld spielt ja offensichtlich keine Rolle. Aber nur Desperados können daraus eine Politik machen wollen – denn offensichtlich ist ja leider das Gegenteil der Fall: dass das Geld nun noch knapper ist.

Solche Desperados haben wir hier in der Gestalt der Linken, die regelrecht vernarrt ist in die Idee, jetzt sei die Stunde neuer Schulden. Wenn wir an den Ausgangspunkt der Krise zurückdenken: der US-Immobilienmarkt, Hauserwerb für die breite Masse der Bevölkerung, ja, aber zu 100% auf Pump finanziert, ohne Sicherung. Die Risiken wurden dann geschminkt, schön verpackt und mit dem süßen Gift hoher Gewinnversprechen über die ganze Welt gestreut – in Wahrheit aber nur unkalkulierbar gemacht.

Auch andere Formen des Lebens auf Pump sind noch brandgefährlich – denken Sie an die Kreditkarten. Und die Linke will uns allen Ernstes weiter den amerikanischen Weg vorschlagen, die Schulden der ersten Kreditkarte mit der zweiten zu bezahlen, die Zinsen mit neuen Schulden? Das wäre in unserer Lage endgültig der Weg in die Handlungsunfähigkeit.

Auch deshalb ist die Forderung der Linken, die Debatte um die Schuldenbremse zu beenden, unsinnig. Und zu glauben, wir könnten das tun und gleichzeitig Bund und Länder von einer Schuldenhilfe für Bremen überzeugen, zeugt von gefährlicher politischer Einfalt. Im Gegenteil, gerade das Land Bremen muss in der schwieriger gewordenen Lage alles tun, dass die Reformkommission zu Ergebnissen kommt.

Aus diesen Gründen, aber auch aus dem schlichten Grund, dass solche Programme in kleinen Räumen nicht gezielt wirken können, sehen wir keine Möglichkeit für ein "Bremer Konjunkturprogramm". Ich habe schon gesagt, dass wir das Berliner Programm in einigen Punkten für grundfalsch halten; andere gehen in die richtige Richtung einer zielgenauen Förderung ökologischer Modernisierung, von Energieeffizienz und Klimaschutz, Infrastruktur. Dazu müssen nach unserer Überzeugung Bildung und Forschung kommen. So oder so  müssen wir darauf achten, dass bei sinnvollen Infrastrukturprojekten die berechtigten bremischen Interessen zum Tragen kommen.

Richtig ist, dass der Senat in diesen Zeiten, in diesen Fragen besonders engen Kontakt zu den Sozialpartnern hält und dass wir unsere noch so kleinen Spielräume in der Umsetzung eigener Investitionen nutzen. Ob und wie wir in schwierigen Fällen auch helfen könnten, das wäre heute müßige Spekulation.

Herr Präsident, gestatten Sie mir bitte noch eine abschließende Bemerkung. In den Feuilletons wird nun im Wochentakt das "Ende des Kapitalismus" verkündet. Ich bin da gelassen, das hab ich ja schon selbst mehrfach getan. Ich lese auch, dass junge Menschen wieder in größerer Zahl in Kurse über Karl Marx gehen. Ausgezeichnet. Ich hoffe nur, sie hören da nicht den verstaubten Staatssozialismus der PDS, sondern lesen die richtigen Texte, zum Beispiel das "Kommunistische Manifest", in dem Marx die ständige Umwälzung aller Verhältnisse durch den Kapitalismus schildert, ja geradezu feiert.

Das ist für mich das Entscheidende: Gegenwärtig stehen vollkommen zu Recht die Maßlosigkeiten am Pranger, die uns in diese Lage gebracht haben. Auch das Versagen einer Politik, die das zugelassen, ja befördert hat. Aber das ist gerade die Fähigkeit von Kapitalismus und Demokratie, sich zu korrigieren, Fehler zu beseitigen, sich neu zu erfinden; politische Formen von sozial und ökologisch gebundener, eingehegter Ökonomie herauszubilden – wenn denn politische Kräfte da sind, die dafür eintreten. Wir Grünen wollen das.

Also: es kann jetzt nicht heißen, "Neues Spiel, neues Glück", neues Zocken in großem Stil mit dem Geld anderer; sondern neue Regeln – aber auch gemeinsame Anstrengungen. Einfach wird es nicht werden.