Rede zum Integrationskonzept

Rede zum Integrationskonzept

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Gestatten Sie mir zu Beginn meiner Ausführungen eine persönliche Bemerkung. Sie hat gleichwohl etwas mit der Sache zu tun. Denn wie Sie wissen, sehen und hören können, gehöre auch ich zu der Bevölkerungsgruppe, um die es bei diesem Thema geht.

Dies ist für mich, die Migrantin, ein besonderer, ein bedeutender Augenblick. Es ist das erste Mal, dass mir der Präsident der Bremischen Bürgerschaft das Wort erteilt. Und ich empfände meinen Wortbeitrag als unvollständig, wenn ich dabei nicht zum Ausdruck bringen würde, wie sehr ich es zu schätzen weiß, dass ich hier in diesem hohen Hause zu Ihnen sprechen darf.

Vor etwa dreißig Jahren verließ ich mein Heimatland, das damals wie heute nur wenige Entfaltungsmöglichkeiten für Menschen mit politischem Bewusstsein bot. Ich kam hierher, studierte , ich begann zu arbeiten und mich zu Hause zu fühlen, gründete eine Familie, gebar eine Tochter. Deutschland wurde ihr und mir zur zweiten Heimat, auch wenn ich meine erste darüber nicht aus dem Herzen verlor. Ich lernte die Stärken dieser Gesellschaft kennen, aber auch, was an ihr noch verbesserungswürdig ist. Ich traf auf Benachteiligung und Diskriminierung, aber auch auf viel Unterstützung und Solidarität. Ich engagierte mich politisch und trat ein für Demokratie und friedliches Miteinander in diesem Land. Und ich wurde schließlich Abgeordnete.

Meine Damen und Herren, wenn Ihnen heute jemand weismachen will, Integration sei letzten Endes nur eine Utopie, gerade was die Muslime unter den Migranten anbelangt, dann zitieren Sie meine Geschichte! Ist sie nicht ein Beispiel für gelungene Integration? Und doch habe ich meine Wurzeln nie vergessen.

Warum erzähle ich Ihnen das, meine Damen und Herren? Weil dies meiner Überzeugung nach der Kernpunkt jeder Erfolg versprechenden Integrationspolitik ist. Integrationspolitik heißt fördern und fordern. Wir dürfen, ja wir müssen von den Migrantinnen und Migranten, die bleiben wollen, fordern, dass sie dieses Land als ihre neue Heimat annehmen. Mit allen Rechten und Pflichten, die damit einhergehen. Die Mehrheitsgesellschaft muss dies aber auch fördern, indem sie ihren Teil zum Integrationsprozess dazu tut. Und sie darf von den Menschen nicht verlangen, dass sie ihre Wurzeln vergessen oder gar verleugnen. Diese Grundprinzipien müssen sich in jeder ehrlich gemeinten Integrationspolitik wiederfinden, die nicht nur Kosmetik sein will und auch nicht in bloßen Anpassungsdruck ausarten soll.

Seit dem Jahr 2000 hat das Land Bremen die "Konzeption zur Integration von Zuwanderern und Zuwanderinnen". Sie wurde seinerzeit mit breiter Unterstützung in diesem Haus beschlossen. Nun legen die Fraktionen von Bündnis 90/DIE GRÜNEN und SPD gemeinsam einen Antrag zur Weiterentwicklung des Integrationskonzeptes vor. Nach beinahe acht Jahren ist nunmehr Zeit für eine Bestandaufnahme: was wurde bisher erreicht, was können wir besser machen?

Die Konzeption der zurückliegenden zwei Legislaturperioden war ein erster Schritt auf einem guten Weg. Sie leitete einen Lernprozess ein, aus dem jetzt die richtigen Schlüsse gezogen werden müssen. Vier Schwerpunkte zeichnen sich dabei ab:

  • die Bremer Integrationspolitik kann und muss künftig mehr gestalten als nur verwalten;
  • der Qualitätssicherung muss mehr Raum verschafft werden, und zwar nicht nur bei den Maßnahmen der Ressorts selber, sondern auch bei geförderten Einrichtungen und Projekten;
  • den tatsächlich erreichten Ergebnissen muss mehr Beachtung geschenkt werden, zum Beispiel den kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen einer Maßnahme, oder auch den Veränderungen, die sie konkret bewirkt;
  • und schließlich muss die unabdingbare Beiderseitigkeit der Integration stärker als bisher ins Spiel kommen. Integration darf keine Einbahnstraße bleiben.

Die Beschlussempfehlung enthält einen Katalog von Kriterien, die für die zeitgemäße, nachhaltige und umfassende Konzeption einer Integrationspolitik wesentlich sind und folgenden Schwerpunkten Rechnung tragen.

Erstens: Das Integrationskonzept braucht ein aktualisiertes Leitbild. Dieses Leitbild muss die vorhin benannten Grundprinzipien des Förderns und Forderns aufnehmen. Und es sollte aus den Erfahrungen des bisherigen Konzeptes inhaltliche Prioritäten ableiten, die für das Miteinander in unseren beiden Städten Bremen und Bremerhaven entscheidend sind für die Zukunft. Außerdem soll das Leitbild deutlich machen, dass alle Integrationsbemühungen nur dann erfolgreich sein können, wenn wir Integration als beiderseitigen Prozess begreifen. Nicht nur die Migranten müssen sich bewegen, sondern auch die Gesellschaft muss sich bewegen. Das heißt: sie muss sich auf die Migranten zu bewegen.

Zweitens: Die Konzeption muss nach der Qualität der Maßnahmen fragen. Im Rahmen des bisherigen Integrationskonzeptes haben wir uns vorschnell mit der Vermutung zufrieden gegeben, dass die Integrationsbemühungen schon erfolgreich sein werden. Wir brauchen jedoch Instrumente, die den Prozess genau beobachten und die eingesetzten Ressourcen ins Verhältnis zu den Resultaten setzen.

Drittens: Der Erfolg der Integrationspolitik ist an ihren Ergebnissen zu messen. Ein integrationspolitischer Aktionismus nützt weder den Migranten noch der Gesellschaft als ganze. Wir wollen doch die Situation in den Schulen, in der Berufsausbildung, in der Arbeitswelt, im Stadtteil verbessern. Mit einem Wort: strukturelle Veränderungen sind gefragt. Die gesetzten Ziele müssen messbar sein, und es müssen belastbare Indikatoren formuliert werden. Es müssen Indikatoren sein, an denen abzulesen ist, wie erfolgreich eine Maßnahme war oder warum sie gescheitert ist. Je transparenter eine Integrationspolitik ist, umso größer wird ihre Akzeptanz sein, sowohl bei den Migranten als auch in der breiteren Öffentlichkeit.

Viertens: Die Methodik der Integrationskonzeption ist zu verbessern. Eine wissenschaftliche Begleitung und praxisorientierte Auswertung ist unumgänglich. Möglichkeiten für neue Projekte und Initiativen sind zu schaffen, auch ohne institutionelle Anbindung. Das Potenzial für Selbsthilfemaßnahmen ist noch lange nicht ausgeschöpft. Die Ressorts, die Regeldienste und Einrichtungen sollten jetzt ermutigt werden, auf dem Weg der interkulturellen Öffnung fortzuschreiten. Dazu sind Zielvereinbarungen und Selbstverpflichtungen hilfreiche, motivierende Instrumente.

Meine Damen und Herren

Integration ist interdisziplinäres Arbeitsfeld und Querschnittsaufgabe zugleich!

Zur Transparenz des Integrationskonzeptes gehört selbstverständlich auch die Frage, was das Ganze kostet. Ich halte die Offenlegung der Finanzierung der integrationspolitischen Maßnahmen für einen wesentlichen Teil jeder konsensfähigen Konzeption. Ebenso wichtig ist eine ehrliche Diskussion über  Erfahrungen und Lernprozesse. Einrichtungen und Maßnahmen, die sich vor Jahren bewährt haben, werden heute möglicherweise nicht mehr angenommen. Ihre Zielgruppen haben sich verändert, ohne dass eine Anpassung stattgefunden hat. Solche tradierten Strukturen gehören nicht in eine zeitgemäße integrationspolitische Konzeption.

Im Rahmen der Weiterentwicklung des Bremer Integrationskonzeptes wollen wir Grundannahmen hinterfragen und neue Denkanstöße ernst nehmen.

Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren, den vorliegenden Antrag anzunehmen.

Ich danke Ihnen.