Rede zum BGU

Rede zum BGU

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die Antwort des Senats bestätigt den Befund der vergangenen Jahre: Das Fach "Biblischer Geschichtsunterricht" ist in keinem guten Zustand. Es findet nur zu einem ziemlich geringen Teil überhaupt statt. Nicht Schulpolitik, nicht planvolles Verwaltungshandeln, sondern eher Zufälle verschiedenster Art bestimmen seit Jahren, wo, in welchem Umfang, von wem und in welcher Weise dieser Unterricht in Bremen gegeben wird. Wobei zu den glücklichen Umständen und Zufällen das Engagement vieler Lehrerinnen und Lehrer gehört – die dann allerdings einen Unterricht machen, der mit Theodor Spittas Verfassungsverständnis von 1947 –  als "christlichem Gesinnungsunterricht" – nur noch sehr wenig zu tun hat.

Nun kann man auf diese Diagnose wieder so reagieren, dass man sagt: "Nun muss der Senat aber mal endlich", und "Wir haben aber einen Anspruch" o.ä. Wir glauben nicht, dass das Sinn macht. Nach unserer Überzeugung spiegelt die Entwicklung des Unterrichtsfachs nur wieder, dass sich die gesellschaftlichen Voraussetzungen seit 1947 so weit verändert haben, dass das Fach BGU, so wie es einmal gedacht war, keine reale Basis mehr hat. Ich denke natürlich an die tiefgehenden Veränderungen der Rolle der Religionen überhaupt und an die Realität einer pluralen Einwanderungsgesellschaft, wie sie sich in den Klassen unserer Schulen leibhaftig und quicklebendig zeigt.

Die Initiative, die die Grüne Partei im vergangenen Jahr beschlossen hat, zielt auf die Schaffung einer neuen, tragfähigen Grundlage. Wir wollen, dass an den staatlichen Schulen Bremens ein gemeinsamer Unterricht über Religionen gegeben wird; über Religionen, ihre großen Erzählungen, ihre Geschichte – auch über die Geschichte der Kritik an ihnen; über ihre Beziehung zu Werten und Moral, zur Philosophie. Dieser Unterricht muss alle Religionen im Grundsatzgleich behandeln.

Ich möchte unseren Vorschlag in vier Punkten erläutern und begründen. Ich schicke voraus, dass die Frage des Religionsunterrichtes, die Frage von religiöser Unterweisung in staatlichen Schulen immer viel mehr als nur eine Frage des Curriculums gewesen ist. Sie berührte immer grundlegende Fragen unseres kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Deshalb müssen auch die Antworten umfassender begründet werden.

1. Junge Menschen sollen nach unserer Überzeugung als Teil ihrer Bildung und Erziehung auch Kenntnisse über Religionen vermittelt bekommen. Das ist keineswegs ein banaler oder selbstverständlicher und unumstrittener Satz. Er ist eine bewusste Entscheidung – auch gegen die gegenwärtige "Abstimmung mit den Füßen" – dafür, in den Schulen "religionskundliche Alphabetisierung" zu betreiben, wie Prof. Lott es zugespitzt ausgedrückt hat. Kenntnisse über Religionen, Begegnung mit ihrer Geschichte, ihren Antworten gehören auch heute zum Inhalt des Bildungsauftrages der Schulen, wie wir ihn verstehen.

2. "Religionsfreiheit" als grundlegendes Menschenrecht ist das Recht jedes Menschen, ungehindert und frei seine Religion auszuüben. Per definitionem ist deshalb Religionsfreiheit Freiheit der Religion in der Mehrzahl, Freiheit der Religionen. Wir Grünen ergänzen: sie ist auch Gleichberechtigung der Religionen. In dem Unterricht, den wir uns vorstellen, gibt es keine Monopolstellung, auch keinen Vorrang einer Religion, einer Religionsgemeinschaft "von Staats wegen" mehr. Wir bestehen auf Augenhöhe und gleichem Respekt gegenüber allen Religionen.

Das ist nicht nur eine grundsätzliche Position, sondern auch eine aktuelle politische Herausforderung. Wir erwarten ja von den muslimisch gläubigen, muslimisch geprägten Menschen, die heute mit uns hier leben, dass sie ihren Ort finden in einer zwar lange christlich geprägten, aber doch säkularen Gesellschaft, zu dessen Selbstverständnis es auch gehört, dass sich Religionen in Frage stellen, kritisieren lassen müssen – denken Sie an die Ausstellung kürzlich hier im Haus über Karikaturen. Wir Grünen sind unbedingt der Auffassung, dass wir ein solches Verständnis auch von den Muslimen erwarten und einfordern müssen. Aber wir sind auch überzeugt, dass das nur gehen kann, wenn wir ihnen unsererseits mit strikter Gleichberechtigung und Respekt begegnen. Das ist auch deshalb so wichtig, weil sich der nächste Angriff gegen die Demokratie hier wie anderswo in Europa wohl als "Kampf gegen den Islam" drapieren wird. Denken Sie an Köln, denken Sie an Holland, an Österreich.

3. In staatliche Schulen gehört nach unserem Verständnis allein Unterricht über Religionen, nicht religiöse Unterweisung – die findet durch die Religionsgemeinschaften in deren Räumen statt. Das bedeutet auch, der Unterricht wird von Lehrerinnen und Lehrern gegeben, die religions­wissenschaftlich ausgebildet sind. Eigene, persönliche Religiosität ist keine Vorbedingung dafür, aber auch, um das klar zu sagen, kein Ausschlussgrund. Natürlich kann eine gläubige Muslima einen solchen Unterricht genauso geben wie ein gläubiger Christ – wenn sie es denn gelernt hat und kann. Vertreter der Religionsgemeinschaft sollen gern als Gäste in den Unterricht eingeladen werden, so wie wir z.B. in den Politikunterricht eingeladen werden. Und ich fände es vernünftig, mit den Vertretern der Religionsgemeinschaften einen Beirat zu bilden, der diesen Unterricht und mögliche Konflikte begleitet.

4. Wir wollen, dass dieser Unterricht über Religionen gemeinsam für alle Schülerinnen und Schüler ist. Wir wollen, dass die jungen Menschen miteinander reden und nicht übereinander. Wir wollen nicht, dass die Schülerinnen getrennt hier über die Bibel, dort über die Thora und noch woanders über den Koran lernen. Das war die grundfalsche Idee zuletzt der Berliner Pro-Reli-Kampagne. Nach unserer Überzeugung ist das Potenzial eines gemeinsamen Unterrichtes über Religionen für ein besseres Verständnis und gelungenes Zusammenleben der jungen Menschen, beginnend im Alltag auf dem Schulhof, riesig. Und wir brauchen das dringend.

Meine Damen und Herren, ein solcher Unterricht, wie ich ihn als Vorschlag der Grünen skizziert habe, ist keinesfalls eine Erfindung auf dem Reißbrett. Es gibt solche "Religionskunde" – zum Teil unter diesem Namen – bereits: in Großbritannien, in Schweden, in der Schweiz, neuerdings auch in Norwegen; dort ist er definiert als "objektiv, kritisch, pluralistisch und respektvoll". Frau Alberts von der Uni Bergen hat auf unserer Veranstaltung am vergangenen Montag eindrucksvoll über diese Erfahrungen berichtet und das Resümee gezogen: "Es geht." Und es geht, nach anfänglichen Diskussionen, auch in großem Einvernehmen mit den Religionsgemeinschaften.

Meine Damen und Herren, wir sind überzeugt, dass unser Vorschlag die liberale Tradition der Freien Hansestadt Bremen in Religionsfragen bewahrt und unter neuen Bedingungen weiterführt. Vor 200 Jahren wurde in Bremen die Trennung zwischen reformiertem und lutherischem Unterricht überwunden zugunsten eines allgemein-protestantischen; 1947 wurden mit dem Verfassungskompromiss die – katholischen – Flüchtlinge mit hinein genommen. – In Klammern möchte ich auf den eigentlich ungeheuren Skandal hinweisen, der darin liegt, dass über jüdische Kinder 1947 kein einziges Wort verloren wurde; so nachhaltig war die reale und gedankliche Auslöschung durch die Nazis gewesen. – Heute schlagen wir Ihnen einen Unterricht vor, dessen Ziel und Botschaft wiederum darin liegt, zusammen zu führen und Zeichen von Gleichberechtigung und Integration zu setzen. Dafür wäre es auch richtig und notwendig, diesem Unterricht in der weiteren Diskussion einen neuen Namen im Leben der Schulen zu geben.