Aktuelle Stunde „Im Gedenken an die Opfer und Hinterbliebenen von Hanau – gemeinsam rechten Terror bekämpfen und Rassismus zurückdrängen“

Aktuelle Stunde der Bürgerschaft am 26. Februar 2020

Nach der Ermordung von Walter Lübcke durch einen Neonazi und dem Angriff auf die Synagoge und einen Imbiss in Halle mit zwei Toten wurde am Abend des 19. Februar in Hanau zwei Lokale von einem offenbar rechts-motivierten Mörder angegriffen. Neun Menschen kamen durch den Anschlag ums Leben. Der mutmaßliche Täter hatte zuvor neonazistische Inhalte im Internet und rassistische Motive verbreitet.
Aktuell häufen sich immer neue Verdachtsfälle von neonazistischen Gruppierungen, die Anschläge planen oder geplant haben. Der Bundesgerichtshof erließ zuletzt 12 Haftbefehle gegen Neonazis der „Gruppe S.“, die ebenfalls Anschläge vorbereitet und Waffen beschafft haben soll. Kurz zuvor erging das überfällige Verbot gegen die militanten Neonazis von „Combat 18“.
Auch in Bremen kam es zuletzt zu wiederholten Drohungen durch offenbar rechts-motivierte Straftäter gegen Parteien und Parlamentarier*innen. Bei zwei Bränden im Jugendzentrum Friesenstraße ermittelt der Staatsschutz zu möglichen politischen Motiven, weil im zeitlichen Zusammenhang Aufkleber einer Neonazi-Gruppierung an die Tür des Freizis angebracht worden sind. Es entstand hoher Sachschaden, Menschen kamen zum Glück nicht zu Schaden.


Die Rede des Fraktionsvorsitzenden Björn Fecker in der Bürgerschaft Landtag im Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hanau ─ der Gedanke an diesen terroristischen und rassistischen Anschlag erfüllt einen mit Entsetzen, mit Trauer aber auch mit Wut. Entsetzen darüber, dass mitten in einem der sichersten Länder der Welt Mitmenschen kaltblütig ermordet werden können. Trauer über die Opfer und Mitgefühl gegenüber den Angehörigen, aber auch Wut. Wut, dass in Deutschland erneut Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft oder ihres Glaubens sterben müssen und niemand hilft.
Die Opfer von Hanau waren schutzlos und dieses Gefühl der Schutzlosigkeit greift mehr denn je um sich. Mehr denn je fragen sich Muslime, ob sie in diesem Land, in ihrer Heimat noch sicher sind und sie stellen sich auch die Frage, ob sie eigentlich Opfer zweiter Klasse sind. Es war nämlich keine Fremdenfeindlichkeit, meine Damen und Herren, es war blanker Rassismus und die Opfer waren Familienmitglieder, Nachbarn und Kollegen. Rassismus muss als solcher benannt werden und wir müssen gemeinsam zu unserer freiheitlichen Gesellschaft stehen.
Aber lassen Sie uns auch gemeinsam dem Eindruck entgegentreten, dass uns die Sorgen von Wutbürgern und AfD-Anhängern wichtiger sind, als die Sorgen und Ängste derjenigen in unserem Land, die Rassismus, Sexismus und Diskriminierung ausgesetzt sind.
Es ist auch an der Zeit, die Erzählung vom verwirrten Einzeltäter zu beenden. Hören wir auf, die Gefahr zu unterschätzen. Niemand hat an so etwas wie den NSU geglaubt, auch nicht, als er schon unsere Mitmenschen in Deutschland kaltblütig ermordete.
Im Bekennerschreiben des Täters von Hanau finden sich ein antisemitisches Verschwörungsdenken, ein völkisch-rassistisches Weltbild und rassistische Vernichtungsphantasien. Ein Einzeltäter? Sind nicht die Einteilung von Menschen in wertvolle und weniger wertvolle Völker, die Angst vor einer Umvolkung, vor allmächtigen, bösartigen Strippenziehern im Hintergrund, Frauenfeindlichkeit sowie der feste Glaube, dass Kriminalität vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund ausgeht, in dieser Gesellschaft nicht doch weiter verbreitet? Sie sind es und ebenso sind Verschwörungstheorien fester Bestandteil rechtsextremistischer Ideologien. Wir haben es vielleicht mit einzeln handelnden Tätern zu tun, aber nicht mit isolierten Einzeltätern.
Wir leben in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft eine Bagatellisierung von rechtsextremistischem Gedankengut bis hin zu einer Normalisierung. Es scheint mittlerweile normal zu sein, dass Rechtsextremisten in Talkshows und Zeitungsinterviews Raum bekommen, um mit bewussten Grenzüberschreitungen zu polarisieren.
Es stellt sich für uns alle auch die Frage, ob alle demokratischen Kräfte bereit sind, sich auch rhetorisch von den Rechtsradikalen zu distanzieren, ihre Sprache nicht zu übernehmen und ihren Themen nicht hinterher zu laufen. Wir werden diese Herausforderung als Demokraten aber nur gemeinsam bestehen können und deswegen halte ich alle Versuche, die unternommen werden, CDU und FDP wegen des Vorgehens in Thüringen oder aufgrund von Äußerungen Einzelner, ihre richtige Grundhaltung gegenüber den Rechtsextremen abzusprechen für sachlich falsch und politisch für dumm, meine Damen und Herren!
Man muss die politischen Ziele der Linken nicht teilen, sie aber in den Diskussionen mit der AfD in einen Topf zu werfen ist ebenso sachlich falsch und politisch dumm.
Und lassen Sie mich bei der Gelegenheit gleich anschließen: Ein Hufeisen kann man, von mir aus gern, als Glücksbringer an die Wand nageln, als Grundlage einer politischen Theorie eignet es sich nicht, auch das ist sachlich falsch und politisch dumm, meine Damen und Herren.
Wenn ich vom Bündnis der demokratischen Kräfte spreche, dann meine ich ausdrücklich nicht die AfD! Wer in Parlamenten, in Talkshows und auf der Straße Hass und Hetze verbreitet, wer die Werte des Grundgesetzes mit den Füßen tritt und sich damit zum politischen Wegbereiter von Mord und Terror macht, der ist nicht Bestandteil unseres demokratischen Parteienspektrums, sondern ein Fall für den Verfassungsschutz!
Wer jede Straftat für seine politischen Ziele ausschlachtet aber beim Terrorakt von Hanau von einer unpolitischen Tat eines geistig verwirrten Einzeltäters spricht, der ist nicht dumm, sondern dessen politisches Ziel wird nur klarer. An uns hier in Bremen, meine Herren von der AfD, werden Sie keine Freude haben. Hier wird die Brandmauer der Demokraten halten. Bei aller Unterschiedlichkeit in den politischen Positionen sind wir uns hier über alle Fraktionen einig: Sie sind keine Alternative für Bremen und keine Alternative für Deutschland.
Lassen Sie mich kurz darauf eingehen: Es ist beachtlich, dass gleich zu Beginn der Debatte drei Mitglieder der AfD den Sitzungssaal verlassen haben und stattdessen lieber, wahrscheinlich dort oben in der Cafeteria, den Reden lauschen. Meine Damen und Herren, sich den Argumenten im demokratischen Wettbewerb zu stellen und nicht nur zu hetzen, sich im demokratischen Wettbewerb auseinanderzusetzen ist Pflicht der Abgeordneten. Kaffee trinken gehört nicht dazu. Ich finde, Sie bestätigen heute alle Ausführungen, die hier heute zu Ihnen getätigt worden sind und Sie sind eine Schande für dieses Parlament, meine Herren!
Ich habe zum Beginn meiner Rede vom Gefühl der Schutzlosigkeit gesprochen, dabei ist es doch die Aufgabe des Staates, seine Bevölkerung zu schützen. Gestatten Sie mir deswegen auch einige konkrete politische Forderungen in Erinnerung zu rufen.
Aus Sicht der Grünen muss die Bekämpfung von rechtem Terror durch die Sicherheitsbehörden mit oberster Priorität bearbeitet werden. Dazu gehört neben einer effizienten Arbeit auch, die rund 660 offenen Haftbefehle gegen Rechtsextremisten in Deutschland endlich durchzusetzen.
Die Anwerbeorganisationen, wie zum Beispiel die rechte Kampfsportszene, müssen ebenso in den Blick genommen werden, wie selbsternannte Bürgerwehren und Reichsbürger. Neben der Analyse der internationalen Verflechtungen der rechtsextremistischen Szene bedarf es auch einer Verschärfung des Waffenrechts. Nicht zuletzt bedarf es einer konsequenten Verfolgung von Hasskriminalität auch im Internet, auch in Form einer Online-Wache. Die lückenlose Aufarbeitung und Implementierung der Lehren aus den NSU-Morden ist zwingend erforderlich. Neben der konsequenten Strafverfolgung gilt es aber auch dringend die Prävention zu stärken. Wir brauchen bei den Bundesprogrammen mehr Geld und insbesondere eine Abkehr vom Projektstatus hin zu einer institutionellen Förderung und damit zu einer verlässlichen Ausfinanzierung, übrigens auch für Aussteigerprogramme. Politische Bildungsarbeit in der Schule und Stärkung der Medienkompetenz sind ebenso wichtig, wie Investitionen in Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit.
Unsere Betroffenheit, meine Damen und Herren, muss auch in konkretes Handeln münden. Das sind wir den getöteten Mitbürgern schuldig. ─ Herzlichen Dank!"