Rechtzeitig helfen durch präventive Hausbesuche

Rechtzeitig helfen durch präventive Hausbesuche

"Altenpolitik ist präventive Sozial- und Gesund­heitspolitik…Alter soll nicht den Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben einschränken."

 

Auszug aus dem Altenplan Bremen 2005/2006

In Bremen leben rund 30.000 Frauen und Männer, die älter als 80 Jahre sind – Tendenz steigend. Die meisten möchten bis ins hohe Alter in ihrer eigenen Wohnung leben. Viele sind auf ambulante Hilfen angewiesen – auch wenn sie nicht pflegebedürftig sind. Deshalb setzt sich die grüne Fraktion für einen Modellversuch ein, der präventive Hausbesuche bei älteren Menschen organisiert. "Immer mehr alte Menschen leben völlig isoliert und nehmen aus Scham, Unwissenheit oder Sprachlosigkeit nicht rechtzeitig ihnen zustehende Hilfe in Anspruch. Wir wollen nicht warten, bis ein Hausmeister die Polizei alarmiert, weil Nachbarn sich über Gestank beschweren und eine desorientierte 88jährige Bewohnerin aus ihrer völlig verwahrlosten Wohnung in ein Heim gebracht wird," erläutert der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Dirk Schmidtmann. "Wir wollen viel früher ansetzen und präventive Hausbesuche bei Menschen über 75 Jahren erproben. "Sie sollen die rechtzeitige Unterstützung für die Bewältigung des Alltags gewährleisten. Es geht um Gesundheitsvorsorge und die Vermittlung sozialer Kontakte. Die Fachkräfte kommen ins Haus und beraten -  selbstverständlich auf freiwilliger Basis. Dafür brauchen wir sensibles, qualifiziertes Personal, " erklärt Schmidtmann, sozialpolitischer Sprecher der Grünen.

Die Finanzierung soll Bremen nicht allein übernehmen. Karoline Linnert, grüne Fraktionsvorsitzende betont: "Es gilt Kranken- und Pflegekassen sowie Wohnungsbaugesellschaften für eine gemeinsame Finanzierung zu gewinnen. Keine unlösbare Aufgabe, denn ambulante Hilfen sind fast immer preiswerter als die stationäre Unterbringung. Außerdem können Mittel aus dem EU-Sozialfonds beantragt werden. In Bremen muss Pionierarbeit geleistet werden, denn es gibt nur wenige Ansätze für präventive Hausbesuche bei Senioren in Deutschland."

Die grüne Fraktion hat letzten Sommer ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Chancen und Grenzen präventiver Hausbesuche untersucht. Unter dem Titel "Proaktiv statt bedarfsabhängig?" hat die Diplom-Soziologin Tanja Müller geforscht, was bisher auf diesem Sektor angeboten wird und welche Erfahrungen gemacht wurden. Dirk Schmidtmann ist überrascht, wie wenig in diesem Bereich bisher passiert: "Das Problem wird von allen gesehen. Angesichts des demographischen Wandels muss etwas passieren. Die Modellversuche in Hamburg, Radevormwald und München haben gezeigt, dass der Bedarf da ist. Schwierig ist immer die langfristige Finanzierung. Ein weiteres Problem ist es, die Klientel zu finden. Wir dürfen nicht warten, bis die Menschen sich melden, sondern müssen von uns aus auf sie zugehen. Natürlich können alle Personen über 75 Jahre angeschrieben werden. Die Resonanz auf solche allgemeinen Anschreiben ist aber nicht überwältigend. Deshalb sind Mittler wie Hausärzte oder Nachbarn für die erste Kontaktaufnahme wichtig."

In Bremen gibt es 17 Dienstleistungszentren mit fünf Außenstellen. Sie bilden ein gutes, niedrig schwelliges Angebot für Menschen, die von sich aus Hilfe suchen. Jährlich stehen den Zentren insgesamt 1,6 Millionen Euro zur Verfügung. "Das reicht hinten und vorn nicht, um alle Ratsuchende umfassend zu unterstützen," erläutert Karoline Linnert. "Die MitarbeiterInnen haben keine Ressourcen, zusätzliche nach Menschen zu suchen, die möglicherweise Hilfe brauchen. Dazu wird qualifiziertes Personal benötigt. Die Aufgabe, die auf die neuen MitarbeiterInnen wartet, ist nicht leicht und erfordert Fingerspitzengefühl. Sie müssen Erfahrung im Umgang mit älteren Menschen haben, eine guten Überblick über bestehende Angebote beispielsweise von Kirchen, Begegnungsstätten, Sportvereinen und Haushaltshilfen besitzen sowie frühzeitig gesundheitliche Probleme erkennen können."

Bei einem Gespräch mit Bremer Fachleuten aus Dienstleistungszentren, Wohnprojekten und Wohlfahrtsverbänden gab es ermutigende Reaktionen auf den grünen Vorschlag. "Alle waren sich einig, dass präventive Hausbesuche wichtig und ehrenamtlich nicht zu leisten sind. Sie sind Aufgabe des Sozialstaates, der sich um seine BürgerInnen kümmern muss, bevor sie um Hilfe bitten. Das gehört zur präventiven Sozial- und Gesundheitspolitik, damit die Menschen möglichst lange selbst bestimmt Leben können. Es wird Zeit für ein Modellprojekt in Bremen."