Koalitionsvertrag - Wahlverlierer führten Regie

Koalitionsvertrag - Wahlverlierer führten Regie

"Nach der Wahl haben die Sozialdemokraten die Sektkorken knallen lassen, nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen hat der Wahlverlierer CDU allen Grund zum Feiern: Die von Sozialdemokraten vor der Wahl angekündigte Kurskorrektur in der Sanierungspolitik hat nicht stattgefunden. In den Bereichen Wirtschaft, Bau und Verkehr lautet die Parole schlicht ´weiter so`. In den Politikfeldern Umwelt, Bildung und Soziales hat sich die CDU weitgehend durchgesetzt," kommentiert die grüne Fraktionsvorsitzende Karoline Linnert den Koalitionsvertrag. Ihr Fazit: "Bitter ist die Selbstaufgabe der SPD beim Kampf um die Inhalte, weil die Ärmsten und Schwächsten in unserer Gesellschaft die Hauptleidtragenden sein werden. Das, was unsere zwei Städte lebens- und liebenswert macht, wird Stück für Stück vernichtet. Die Projektelandschaft wird kaputtgespart und Bremens Ruf als Stadt im Grünen wird nur erhalten bleiben können, wenn der Beton künftig entsprechend angestrichen wird. Gleichzeitig steigt die Politikverdrossenheit, weil CDU und SPD gleich reihenweise Wahlversprechen gebrochen haben."

Drastisch gespart wird nur an einem Ende

Heimlich still und leise verabschieden sich die Koalitionäre von ihrem bisher sakrosankten Ziel, im Jahr 2005 einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen. Diese unrealistische Vorgabe muss aber weiter als Begründung für das einseitige Sparprogramm herhalten. "Es wird immer weiter an der Schraube gedreht, die bereits bis zum Anschlag angezogen ist," betont Karoline Linnert. "Erstmals wird der Sozialhilfeetat nicht mehr mit einer geringeren Sparquote belegt als andere Politikbereiche. Das bedeutet praktisch 70 bis 80 Millionen Euro weniger Sozialhilfe - ein Wahnsinn. Viele SozialhilfeempfängerInnen sind Alleinerziehende mit kleinen Kindern oder können aus Alters- oder Krankheitsgründen nicht arbeiten. Der angebliche Sozialhilfebetrug im großen Stil, dem SPD und CDU durch Hausbesuche auf die Spur kommen will, existiert nicht. Schwarze Schafe gibt es überall - aber wesentlich weniger als Menschen, die ihnen zustehende Leistungen nicht in Anspruch nehmen."

Erkennbaren Einschnitte im Bereich Wirtschaft und Verkehr gibt es nicht. "Kein Wort über Kürzungen bei den Investitionen und über strenge Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Kein Projekt, auf das verzichtet wird. Wir Grüne fordern seit langem, die Investitionsquote moderat zu senken. SPD und CDU haben sich darauf geeinigt, das Anschlussinvestitionsprogramm (AIP) bis 2007 jährlich um zwei Prozent aufzustocken. Es bleibt bei der wahnwitzigen Hafenpolitik und der völlig überdimensionierten Gewerbeflächenpolitik. Es ist richtig, die Realisierung der Überseestadt in den alten Hafenrevieren voranzutreiben. Wenn hier die notwendigen Flächen für den Strukturwandel angeboten werden, gibt es eine attraktive Alternative zum Technologiepark - Hollerland und Uni-Wildnis könnten erhalten bleiben. Statt dessen halten CDU und SPD weiter fest an der phantasielosen Wirtschaftspolitik unter dem Motto ´Hauptsache viel Gewerbeflächen erschließen. Kein Wunder, dass die Leute angesichts dieser Schieflage im Koalitionsvertrag erbittert sind über die Kürzungen im sozialen Bereich und im öffentlichen Dienst," erklärt Landesvorstandssprecher Klaus Möhle.

"Vitale Stadtviertel" - Zynismus pur

"Das sogenannte Aktionsprogramm Vitale Stadtteile ist der pure Hohn angesichts von Bäderschließungen, Vernichtung zahlreicher Naherholungsgebiete sowie dem Aus für Einrichtungen wie dem Frauengesundheitszentrum und der Aids-Hilfe," stellt Landesvorstandssprecherin Silvia Schön fest. "Die SPD ist im Wahlkampf damit angetreten, sie wolle die Lebensqualität in den Stadtteilen verbessern - die Fakten im Koalitionsvertrag belegen das genaue Gegenteil."

Außer viel Lyrik gibt es jede Menge Hiobsbotschaften in Sachen Ökologie. Silvia Schön kritisiert: "Nur in wenigen Fällen hat das Umweltressort Flagge gezeigt - so beim Hollerland und beim Ringen um eine Wasserschutzzone zur Sicherung der Trinkwassergewinnung in Bremen-Nord. Selbst in diesen Punkten konnten sich die Sozialdemokraten nicht durchsetzen. Die Wasserschutzzone wird es definitiv nicht geben und der sogenannte Hollerland-Durchbruch ist ein Rechtsbruch. Auch in dem Drittel, das die Koalitionäre nicht als FFH-Gebiet anmelden wollen, gibt es vom Aussterben bedrohte Pflanzen und Tiere. Deshalb muss das gesamte Hollerland unter europäischen Naturschutz gestellt werden. Wenn scheibchenweise der Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen verkleinert wird, trägt Bremen dazu bei, die biologische Vielfalt zu verringern." Da wundert es kaum noch, dass die ökologisch unverantwortliche Weservertiefung ohne wenn und aber im Koalitionsvertrag gefordert wird.

Bildungspolitik - aus Pisa nichts gelernt

Die soziale Herkunft entscheidet im Land Bremen wesentlich über die Schulkarriere der Kinder - nicht die individuellen Fähigkeiten. "Um das zu ändern, wollen wir Grüne nach wie vor massiv in Kindergärten investieren und die Kinder möglichst lange gemeinsam unterrichten. SPD und CDU gehen einen anderen Weg. Die frühe Trennung von Schulkindern nach der vierten Klasse hat sich im Pisa-Vergleich als Verlierermodell erwiesen, trotzdem wird es eingeführt. Die wenigen zugelassenen sechsjährigen Grundschulen werden es schwer haben. Eltern, die ihre Kinder perspektivisch Abitur machen lassen wollen, werden sich aller Voraussicht nach gegen diese Modellprojekte entscheiden. Die Mädchen und Jungen werden es schwer haben, wenn sie nach der sechsten Klasse auf Gymnasien wechseln sollen, wo bereits seit der fünften Klasse alles auf das Ziel "Abi in zwölf Jahren" ausgerichtet ist, " erklärt die grüne Fraktionsvorsitzende Karoline Linnert.

Kindergärten mit familienfreundlichen Öffnungszeiten und die von allen geforderte Qualitätssteigerung durch mehr und besser ausgebildetes Personal wird es nicht geben. "Die Eltern müssen sich verschaukelt vorkommen. Im Wahlkampf hat die CDU damit geworben, das letzte Kindergartenjahr solle umsonst sein. Die SPD hat die Zweitkraft für alle Kita-Gruppen propagiert. Eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf wurde von beiden Parteien versprochen. Das alles wäre nur möglich, wenn deutlich mehr Geld für Kindergärten bereitgestellt würde. Das ist nicht der Fall, deshalb sind all die schönen Worte im Koalitionsvertrag über qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Betreuungsangebote nur Schall und Rauch."