Das neue Schulgesetz - aus Pisa nichts gelernt

Das neue Schulgesetz - aus Pisa nichts gelernt

"Die geplante Änderung des Schulgesetzes ist im Ansatz falsch, völlig überhastet und wirkt sich negativ auf viele gute Ansätze in der Bremer Bildungslandschaft aus," kommentiert die bildungspolitische Sprecherin der grünen Fraktion, Anja Stahmann, den Entwurf zur Gesetzesnovelle aus dem Hause Lemke. "Wir lehnen die Pläne der großen Koalition ab. Die frühe Trennung der Schulkinder nach Klasse 4 hat sich im Pisa-Vergleich als Verlierermodell erwiesen. Aller Voraussicht nach wird auch künftig der Schulerfolg stark vom Wissen und der Herkunft der Eltern abhängen - ein Trauerspiel. Statt Türen zu einem höheren Schulabschluss zu öffnen, werden sie zugeworfen. Die Selbstaufgabe der Sozialdemokraten in den Koalitionsverhandlungen um die Bildungspolitik ist bitter, weil dadurch eine historische Chance vertan wird. Nach dem Pisa-Debakel ist die Bereitschaft groß, Schule neu zu denken. Wir haben das Potenzial für deutlich mehr Jugendliche mit qualifiziertem Abschluss - wir schöpfen es mit den Plänen von CDU und SPD aber auch in Zukunft nicht aus und schaden damit den Kindern und dem Wirtschaftsstandort Bremen. Die OECD-Studie hat den Zusammenhang zwischen niedrigem Bildungsstand und schwacher Konjunktur aufgezeigt. Die grüne Antwort darauf lautet: Anspornen und unterstützen, statt aussieben. Wir fordern weiterhin langes gemeinsames Lernen in einer neunjährigen Schule für alle mit gezielter individueller Förderung."

Unnötiger Zeitdruck - Reform verschieben

Schulentwicklung ist ein demokratischer Prozess, der Zeit braucht. Deshalb schlagen die Grünen vor, die Gesetzesänderung um mindestens ein Jahr zu verschieben, um ein fundierte Diskussion mit den Betroffenen zu ermöglichen. Anja Stahmann kritisiert das Hau-Ruck-Verfahren der großen Koalition. "Morgen wird zum ersten Mal in der Bildungsdeputation über den konkreten Entwurf des Bildungsressorts diskutiert. Ganze zwei Monate sind für die Beteiligung von Schüler- , Eltern- und Lehrervertretern eingeplant. Kein Wunder, dass die Leute sauer sind und sich nicht ernst genommen fühlen." Bereits nach den Sommerferien im nächsten Jahr soll das neue Schulsystem starten. "Ein Wahnsinn - weder sind Raumprobleme in den Schulen geklärt, noch ist klar, wie der Unterricht in den neuen, integrierten Haupt- und Realschulen aussehen soll. Selbst wenn die Mütter und Väter der Schulreform von ihrem Konzept überzeugt sind, sollte ihnen klar sein, dass die praktische Umsetzung nicht übers Knie gebrochen werden darf."

In der Grundschule wächst der Druck

Die IGLU-Studie hat belegt, dass die Grundschulen im internationalen Vergleich relativ gut abgeschnitten haben. Trotzdem wird die Gesetzesänderung erhebliche Auswirkungen auf den Schulalltag der Kleinsten haben. Anja Stahmann betont: "Wenn nach der vierten Klasse die Entscheidung fällt, welche Schule die Kinder künftig besuchen, wächst der Leistungsdruck auf die Kleinen. Statt die Freude am stressfreien Lernen zu fördern, werden die Kinder früh mit Frust und Versagensängsten konfrontiert."

Um flexibler auf die individuellen Fähigkeiten der Jüngsten eingehen zu können, schlagen die Grünen zwei Einschulungstermine pro Schuljahr vor. Kommentar von Anja Stahmann: "Das ist besser als Kinder mit Blick auf einen starren Einschulungstermin zu früh in die Schule zu schicken oder sie länger als nötig warten zu lassen."

Der Modellversuch sechsjährige Grundschule wird zur Alibi-Veranstaltung. Anja Stahmann vermutet, dass die übliche Trennung nach Klasse 4 dem pädagogisch sinnvollen Ansatz der sechsjährigen Grundschule das Wasser abgraben wird: "Als Insellösung ist die sechsjährige Grundschule nicht attraktiv. Natürlich werden sich viele Eltern überlegen, ob sie ihr Kind nicht besser gleich nach der vierten Klasse auf ein Gymnasium schicken. Dann ist das Kind von Anfang an Teil einer Gemeinschaft, in die es sonst zwei Jahre später umgeschult wird. Außerdem entscheidet laut Gesetzentwurf nach der vierten Klasse allein der Elternwille über die Schulwahl. Nach der sechsten Klasse sind die Noten entscheidend. Wer weiß, ob das eigene Kind nicht gerade einen Durchhänger hat - warum also ein Risiko eingehen""

Sprachförderung in den Schulalltag integrieren

Kinder mit geringen Deutschkenntnissen müssen gezielt gefördert werden. In Übereinstimmung mit dem Grundschulverband setzen sich die Grünen dafür ein, die Kinder nicht komplett aus den Klassen und Schulen herauszunehmen. Anja Stahmann betont: "Sprachförderung muss in den Schulalltag integriert werden. Wir wollen keine zentral organisierten Sprachförderkurse, in denen Kinder aus mehreren Schulen zusammengefasst werden. Wenn die Kinder erst nach mehreren Wochen oder Monaten in ihre regulären Klassen kommen, wird die Integration erschwert. Die Sprachförderung muss an jeder Schule so geregelt werden, dass die Kinder nur stundenweise nicht am Unterricht "ihrer" Klasse teilnehmen."

Integration von Haupt- und Realschule - keine halben Sachen!

Natürlich wäre den Grünen eine Schule für alle lieber, aber in der geplanten Integration von Haupt- und Realschulen sieht Anja Stahmann einen Schritt in die richtige Richtung. Sie schlägt vor, die Haupt- und Realschüler - rund zwei Drittel aller Jugendlichen - bis Klasse 9 gemeinsam zu unterrichten und nicht wie geplant schon nach Klasse 8 zu trennen. Außerdem sollen die Übergänge in weiterführende Schulen verbessert werden: "In der 10. Klasse muss eine gezielte Förderung einsetzen, je nachdem, welcher individuelle Bildungsweg angestrebt wird - Lehre, berufliches Gymnasium oder Gymnasium."