Bildung von Anfang an: Grüne Reformvorschläge nach dem Pisa-Debakel

Bildung von Anfang an: Grüne Reformvorschläge nach dem Pisa-Debakel

"Ich wünsche mir Kindergärten, die frühzeitig die Stärken und Schwächen der Kinder erkennen und sie entsprechend fördern. Ich wünsche mir attraktive Schulen, die von ihren Schülerinnen und Schülern aktiv mit gestaltet werden. Ich wünsche mir autonome Schulen mit unterschiedlichen Profilen, die selber entscheiden, wer wie unterrichtet. Schulen, die regelmäßig überprüfen, ob die allgemeinen Lernziele erreicht werden und wie sie im Vergleich mit anderen Schulen abschneiden."

Dieter Mützelburg, bildungspolitischer Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion, hat bei einer viertägigen Informationsreise nach Stockholm gelernt, dass diese Wünsche in Erfüllung gehen können. In Schweden, das beim internationalen Pisa-Test Deutschland weit hinter sich gelassen hat, sind diese grünen Wunschträume Realität. Gemeinsam mit seiner Kollegin Anja Stahmann suchte Dieter Mützelburg in der vergangenen Woche nach dem schwedischen Erfolgsrezept. "Es gibt keinen allein selig machenden Königsweg in der Bildungspolitik," ist Mützelburg sicher. "Schweden setzt auf Vielfalt und Konkurrenz bei den Schulen und lässt ihnen weitgehend freie Hand bei der Unterrichtsgestaltung. Entscheidend für den Erfolg ist die enge Verzahnung von Schule und Kindergarten - für beides ist die Bildungsbehörde zuständig. Ab dem dritten Lebensjahr wird jährlich die Sprachfähigkeit aller Kinder getestet. Für Kinder, die vergleichsweise schlecht abschneiden, gibt es Förderprogramme. Bremen plant jetzt, die Sprachkompetenz aller Fünfjährigen zu testen - also erst kurz vor dem Grundschulbesuch - das ist zu spät."

Kindergärten - Bildungsgärten

"Das Fundament für den späteren Schulerfolg wird im Kindergarten und der Grundschule gelegt. Kinder lernen in den ersten Lebensjahren am meisten. Deshalb müssen wir Kindergärten zu Bildungsgärten umwandeln. Das kann nur mit entsprechend ausgebildeten ErzieherInnen gelingen. Das deutsche Schubladendenken hier Kindertagesheim dort Schule ist überholt. In Schweden werden LehrerInnen und ErzieherInnen ein Jahr gemeinsam ausgebildet - ein Ansatz, den ich mir auch für Bremen wünsche," erklärt Anja Stahmann, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der grünen Fraktion. Wenn künftig Betreuung und Bildung der Kinder im Kindergarten gleich wichtig sind, erübrigt sich nach Ansicht der Grünen auch die Gebührenfrage. Kommentar von Anja Stahmann: "Der Schulbesuch ist selbstverständlich kostenlos, das gleiche muss auch für Kitas gelten."

Beim Besuch eines Stockholmer Kindergartens hat die Grüne besonders die enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Kita beeindruckt. Die Kinder besuchen vier mal die künftige Schule - einmal eine ganze Woche lang. Die künftigen Lehrer kommen in den Kindergarten und werden über ihre neuen Schüler und deren Fähigkeiten und Schwächen informiert. Für jedes Kind wird ab dem dritten Lebensjahr ein Portfolio angelegt, in dem seine Lernerfolge und Entwicklung dokumentiert werden sowie alle speziellen Fördermaßnahmen aufgelistet sind, an denen es teilgenommen hat. Dieses Portfolio wird von den Schulen kontinuierlich fortgeführt.

Die typisch deutsche Selektion erzeugt in Schweden nur Kopfschütteln. Dort werden alle Kinder vom ersten bis einschließlich neunten Schuljahr gemeinsam unterrichtet. Sitzenbleiben gibt es nicht. 95 Prozent der Schüler besuchen danach noch drei Jahre lang das Gymnasium (kann auch in einer berufsvorbereitenden Form sein, anders als in Deutschland). Über 70 Prozent schaffen dort erfolgreich den Abschluss und können dann studieren - in Deutschland sind es knapp 30 Prozent.


Thema Ganztagsschule

Die Ganztagsschule ist in Schweden selbstverständlich und unumstritten - kein Wunder, 98 Prozent der Erwachsenen sind erwerbstätig und Eltern auf eine ganztägige Betreuung der Kinder angewiesen. Die Schule öffnet um 7.30 Uhr ihre Tore und schließt frühestens um 16 Uhr, teilweise gehen die letzten Schüler erst um 19.30 Uhr. Die Lehrer haben Büros in den Schulen und arbeiten eng mit sogenannten Freizeitlehrern - bei uns die Mitarbeiter aus der Jugendhilfe - zusammen. Es gibt vielfältige Freizeitangebote. Reinigungskräfte fehlen völlig, diese Aufgabe übernehmen die Schüler. In den Grundschulen helfen die Besten im Unterricht und werden dafür beispielsweise mit CD´s oder Büchern belohnt.
Dieter Mützelburg betont: "Natürlich sind diese Schulen nicht billig. Die Finanzierung ist Aufgabe der Kommunen. Rund die Hälfte der kommunalen Haushalte wird für die Bildung ausgegeben!"

Alle Schulen haben eine Berichtspflicht über ihre Arbeit gegenüber der Kommune. Die Berichte werden veröffentlicht - ebenso wie die Ergebnisse regelmäßiger Tests, mit denen das Bildungsniveau der Schüler geprüft wird. Etwa alle drei Jahre untersucht die staatliche Schulbehörde die Leistungsfähigkeit der Kinder in den Kernfächern Mathematik, Schwedisch und Englisch.

Auch wenn die Begeisterung über das schwedische Schulsystem bei Anja Stahmann und Dieter Mützelburg groß ist - die dortigen Verhältnisse wollen sie nicht im Verhältnis eins zu eins für Bremen übernehmen. "Jedes Land und auch jede Schule muss eigene Wege finden, wie sie die Bildungschancen aller Schülerinnen und Schüler verbessert. Vielfalt statt Einfalt lautet auch in Schweden die Devise. Wir sind aber davon überzeugt, dass sich die Rahmenbedingungen für Kindergarten und Schule grundlegend ändern müssen - nicht über Nacht, aber Schritt für Schritt. Das miserable Abschneiden bei der PISA-Studie zwingt zum Handeln, auch wenn man angesichts der Blockadepolitik von SPD-CDU in Bildungsfragen den Eindruck bekommen kann, Zeit spiele keine Rolle."


Der grüne Forderungskatalog

Sofortmaßnahmen
- Sprachtests für alle Kindergartenkinder ab dem nächsten Schuljahr
- Fortbildung für ErzieherInnen; sie sollen Stärken und Schwächen der Kinder besser erkennen und fördern können (Sprache und Motorik)
- Verbindliche Kontrakte zwischen Kitas und Grundschulen über die Zusammenarbeit
- Beitragsfreier Kindergarten

Mittelfristige Maßnahmen
- Größere Selbstständigkeit für Schulen
- zentral festgelegte Leistungsziele. Tests kontrollieren, ob die Lernziele erreicht werden. Ergebnisse der Tests veröffentlichen. Diese Qualitätskontrollen werden von einem Beratungsangebot begleitet, wie Ergebnisse verbessert werden können.
- Gemeinsame Ausbildung von Erziehern und Lehrern im ersten Jahr.
- Ganztagsschulen, auch im Grundschulbereich, in allen Stadtteilen.
- Jugendhilfe und Schule miteinander verzahnen, weg vom Schubladendenken Jugend-Bildung-Soziales
- Gründung einer länderübergreifenden Agentur zur Qualitätssicherung in Kindergarten und Schule