Koalitionsvereinbarung aus grüner Sicht

Koalitionsvereinbarung aus grüner Sicht

"Der Koalitionsvertrag hat eine deutliche Schieflage: Der Bereich Jugend und Soziales kann die Sparvorgaben von rund zehn Prozent nur durch erhebliche Standardverschlechterungen und einen Kahlschlag bei der sozialen Infrastruktur erfüllen. Kinder, Arme und Alte zahlen die Zeche, während die Großprojekte im Bereich Bau und Wirtschaft ungeschoren bleiben", lautet das Fazit von Karoline Linnert nach Abschluß der SPD/CDU-Verhandlungen. Sie kritisiert den fehlenden Zusammenhang zwischen finanzpolitischen Rahmendaten und inhaltlichen Aussagen: "Die Senkung der konsumtiven Ausgaben um 0,8 Prozent trifft vor allem die sogenannten weichen, personalintensiven Politikfelder - also Soziales, Bildung und Kultur. Die letzten beiden Bereiche sollen angeblich bessergestellt werden, wie diese Diskrepanz gelöst werden soll, bleibt offen." Auffällig ist das Schweigen in Sachen Schuldentilgung: "Davon hat sich die große Koalition offenkundig verabschiedet. Generell bleibt die Sparpolitik beim Rasenmäher-Modell - die Schraube wird weiter angezogen, der Mut zu strukturellen Veränderungen fehlt." Die Grundüberlegung, Bremen wie einen Konzern zu führen, halten die Grünen für falsch: "Der Staat hat mehr als nur betriebswirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen. Politik darf sich nicht aus ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung stehlen."

Verpaßte Chancen

1. Umweltpolitik


Die Ökologie wird zur Randerscheinung mit Feigenblattcharakter. Das bunte Sammelsurium von Absichtserklärungen mit dem Verbindlichkeitscharakter von Sonntagsreden zeigt, welchen Stellenwert die Umweltpolitik in der großen Koalition hat. Fast jede denkbare Fläche bis auf den Marktplatz wurde ohne Not zur Bebauung freigegeben. Nicht einmal der Schutz des Hollerlandes wurde verbindlich geregelt - trotz eindeutiger Wahlversprechen der SPD.

Die Formulierung zur Trinkwassergewinnung aus der Weser ist ein Beispiel für die Beliebigkeit des Textes. Die Option auf eine Trinkwassergewinnung ist soviel wert wie eine Option auf gutes Wetter - nichts. Das wird spätestens deutlich, wenn an anderer Stelle die Bebauung des Stadtwerders angekündigt wird.

Bei der Flächenpolitik sind die Umweltschützer unter den Koalitionären völlig abgetaucht. Ob Büropark Oberneuland, Osterholzer Feldmark, Ritterhuder Heerstraße oder die Marschen - alles wird verplant. Selbst die Zukunft des Hollerlands bleibt ungewiß - aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Kommentar von Helga Trüpel: "Die Lebensqualität in Bremen wird sich verschlechtern. Flächensparende Optionen für eine attraktive Stadtentwicklung werden nicht genutzt." Würden die alten Hafenreviere und das brachliegende Gelände am Güterbahnhof intelligent genutzt, könnten viele Grünflächen gerettet werden. Aber daran wird in der großen Koalition kaum ein Gedanke verschwendet - Tabula rasa statt Innenverdichtung. Das gilt auch für die Hafenentwicklung in Bremerhaven. Im Koalitionsvertrag wird schon CT IV geplant, obwohl es platzsparende Vorschläge zur künftigen Hafennutzung gibt.

Die Verkehrspolitik läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Einer langen Reihe von Straßenprojekten mit konkreten Terminen und gesicherter Finanzierung stehen im ÖPNV-Bereich außer der Verlängerung der Linie 4 nur nebulöse Aussagen gegenüber, die zusätzlich noch mit dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit versehen wurden.

2. Bildungspolitik

Auch wenn SPD-Chef Albers Bildung und Wissenschaft als das "Zukunftsressort Nr. 1" bezeichnet und beide Koalitionspartner eine Verbesserung der Schulsituation versprechen, befürchten die Grünen die Fortsetzung der Schulmisere. Helmut Zachau betont: "In den kommenden vier Jahren werden 320 Lehrer eingespart. Gleichzeitig soll der Unterricht stärker differenziert und die verläßliche Grundschule für alle eingerichtet werden. Wie diese widersprüchlichen Rahmendaten zusammenpassen sollen, bleibt Geheimnis der Koalitionäre. Wieder einmal wird die Quadratur des Kreises versprochen. Leidtragende dieser chaotischen Vorgaben werden nicht zum ersten Mal die Schüler und Lehrer sein." Er kritisiert, daß den ehrgeizigen Ausbauplänen im Wissenschaftsbereich der dafür notwendige Unterbau an den Schulen versagt bleibt. "An den Hochschulen wird geklotzt - der Bereich Schule und Berufsausbildung wird sträflich vernachlässigt. Weder gibt es einen dringend notwendigen Einstellungsschub noch ein umfassendes Programm 'Neue Medien an den Schulen'. Das Thema Berufsausbildung wird vorsichtshalber ausgeklammert."

3. Kulturpolitik

Die gern gerühmte Bedeutung der Kultur für den Tourismus und die oberzentrale Funktion Bremens hat nicht zu eindeutigen Zusagen in Sachen Eckwerterhöhung für den Kulturhaushalt geführt. Kommentar von Helga Trüpel: "Es wurde peinlich vermieden, Roß und Reiter zu nennen. Konkrete Summen wurden nicht genannt, es bleibt bei vagen Andeutungen. Dafür werden Schließungen bereits durch die Blume angekündigt ('Nicht zu garantieren ist dabei der Erhalt aller Produktionsstätten'). Eine Aufwertung des Kulturbereichs kann die Politikerin in der neuen Ressortverteilung nicht erkennen: "Die Kombination Inneres, Kultur und Sport sieht eher danach aus, daß der Kulturbereich als Wurmfortsatz behandelt wird. Auch die unselige Abhängigkeit vom Wirtschaftsressort soll offenkundig nicht geändert werden."

Die neuen Ressortzuschnitte

Die Zusammenlegung von Wirtschafts- und Häfenressort wird von den Grünen als längst überfällige Entscheidung begrüßt. Positiv wird die Beschränkung auf sieben Senatoren gesehen. Kein Verständnis haben die Grünen dagegen für die weitere Zuständigkeit des Bürgermeisters für das Justizressort. "Ein wichtiges Ergebnis des Justiz-Untersuchungsausschusses war die Forderung, künftig die Leitung des Justizressorts nicht mehr dem Präsidenten des Senats zu überlassen. Offenkundig genügt es nicht, wenn ein vielbeschäftigter Bürgermeister die Rahmenverantwortung für diesen sensiblen Politikbereich übernimmt. Es scheint, daß die Koalitionäre die skandalösen Vorfälle im Bremer Knast und die Analyse ihrer Ursachen bereits verdrängt haben."