Bedarfsgerechte Kinderbetreuung hat ihren Preis

Bedarfsgerechte Kinderbetreuung hat ihren Preis

Beim Lesen des Wibera-Gutachtens muß Finanzsenator Perschau leuchtende Augen bekommen - 20 Millionen Mark Einsparpotential haben die Wirtschaftsprüfer ausgemacht. Sozialsenatorin Hilde Adolf hat etwas Wasser in den Wein gegossen und viele Vorschläge als unpraktikabel oder unzumutbar bezeichnet. Aber auch die Senatorin hält Einsparungen von rund sechs Millionen Mark für erreichbar. "Völlig illusorisch" bezeichnet die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Anja Stahmann auf der heutigen Pressekonferenz diese Summe. Die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der grünen Fraktion betont: "Eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung hat ihren Preis. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz darf sich nicht in einer vierstündigen Betreuung ohne verbindliche Qualitätsmerkmale erschöpfen. Die Grünen fordern den Senat auf, eine sechsstündige Betreuung inclusive Mittagessen der Drei- bis Sechsjährigen zu gewährleisten. Dafür muß der Kita-Etat um fünf Millionen Mark aufgestockt werden."

Das Wibera-Gutachten - viel Geld für wenig Neues

Ein "Gutes" hat die mindestens 400.000 Mark teure Studie auf jeden Fall: Die Gutachter bescheinigen Bremen, dass die Stadt beim sogenannten Betreuungsschlüssel (wieviel Kinder muß eine Fachkraft betreuen) bundesweit im "unteren Bereich" rangiert - im Wibera- Vergleich schneidet nur Bremerhaven noch schlechter ab! "Bestimmt kein Ergebnis, auf das man stolz sein sollte. Es wird aber helfen, Debatten über eine Vergrößerung der Gruppen (bisher 20 Kinder) schnell zu beenden," hofft Anja Stahmann. Ansonsten vermisst die Politikerin originelle Sparvorschläge: "Vieles ist alter Tobak, und eine Reihe von Vorschlägen sind nicht praktikabel."

Nachmittagsgruppen
Den größten Einspareffekt versprechen sich die Gutachter von einer besseren Auslastung der Kindergärten durch reine Nachmittagsgruppen. 9,3 Millionen Mark ließen sich laut Wibera dadurch bei Investitionen für den Bau neuer Kindergärten sparen. Kommentar von Anja Stahmann: "Eine Milchjungenrechnung. In Neubaugebieten gibt es meist keine Kitas, dort muß in jedem Fall gebaut werden. Außerdem dürfte das Interesse der Eltern an reinen Nachmittagsgruppen sehr gering sein. Daran wird voraussichtlich auch der von Wibera vorgeschlagene Beitragsrabatt wenig ändern (70 Prozent aller Eltern zahlen im übrigen den Mindestbeitrag). Um das Wibera-Ziel zu erreichen, müßte ein Drittel aller Kinder in Nachmittagsgruppen betreut werden - völlig illusorisch."
Woher die Gutachter Informationen über die angeblich so guten Erfahrungen mit Nachmittagsgruppen in Hannover haben, ist schleierhaft. In der niedersächsischen Landeshauptstadt waren 1997 von rund 12.000 Kindern ganze 329 in reinen Nachmittagsgruppen untergebracht. 1998 waren es noch 278, Tendenz weiter fallend. "Von einem nachzueifernden Erfolgsmodell kann keine Rede sein. An dieser Stelle drängt sich die Frage nach der Seriösität der Gutachter auf."

Reinigungspersonal
Das Wibera-Gutachten verspricht sich von Leistungssteigerungen der Ptuzfrauen Einsparungen von 1,8 Millionen Mark jährlich und von einer Privatisierung der Gebäudereinigung weitere 1,6 Millionen Mark jährlich. Anja Stahmann lehnt diese Vorschläge ab: "Die Kita-Putzfrauen sind mehr als Reinigungspersonal. Sie helfen an vielen Stellen aus und sind für die Kinder Ansprechpartnerinnen." Die Vorschläge, die Reinigungsintervalle drastisch zu senken (2x pro Jahr Fensterputzen), hält sie für realitätsfremd. "Kinder und Betreuer würden in völlig verdreckten Gebäuden sitzen."

Längere Schließzeiten und zentrale Ferienangebote
Die Gutachter wollen 1,8 Millionen Mark sparen, indem jede Kita statt an 15 Werktagen künftig an 20 Tagen in den Ferien geschlossen bleibt. Die Sozialsenatorin hat zu Recht daraufhingewiesen, dass dies bereits in vielen Kindergärten der Fall sei. "Der Spareffekt ist also kaum zu realisieren." Den Vorschlag, während der Ferien in den Stadtteilen zentrale, attraktive Angebote zu machen, begrüßen die Grünen. "Dafür extra Geld zu verlangen, wäre eine Frechheit. Die Eltern zahlen zwölf Monate im Jahr Kindergartengebühren, warum sollen sie in den Ferien zusätzlich zur Kasse gebeten werden""

Beim Essen sparen - nein Danke!
Die Wibera-Gutachter plädieren für mehr Tiefkühl- und Fertigkost sowie Versorgung durch Großküchen in den Kindergärten. Über eine Million Mark sollen so jährlich gespart werden. Davon halten die Grünen nichts. "Die gesunde Ernährung der Kinder muß im Vordergrund stehen. Wir unterstützen deshalb das Agenda 21-Projekt 'Kita-Küche der kurzen Wege'. In erster Linie sollen frische Lebensmittel aus der Region zum Kochen verwendet werden." Durch den Hinweis der Gutachter, Tiefkühlkost sei bundesweit auf dem Vormarsch, sieht sich Anja Stahmann in ihrer Forderung bestätigt: "Wenn zu Hause immer häufiger Pommes und Tiefkühlpizza auf den Tisch kommen, muß wenigstens im Kindergarten für gesunde Ernährung gesorgt sein."

Verkauf "überflüssiger" Flächen
Bremens Kinder haben nach Meinung der Gutachter zu viel Platz. 5 Millionen Mark jährlich könnte die Stadt durch den Verkauf von Grundstücken einnehmen, die bisher von Kindergärten genutzt werden. "Den Spiel- und Toberaum von Kindern einzuschränken, wäre verrückt. Immer mehr Kinder haben motorische Probleme. Ihren Bewegungsraum weiter einzuschränken, wäre unverantwortlich. Natürlich kann man keine Quadratmeterzahlen festlegen. Ein Kindergarten, der direkt neben einem Wald liegt, kann kleiner ausfallen als einer, der von großen Verkehrsrouten begrenzt wird."

Mehr Eigenverantwortung für die Kitas
Die Vorschläge zu einer größeren Eigenverantwortung vor Ort der Wibera-Gutachter unterstützen die Grünen. Neu sind sie jedoch nicht. "Zur Verwaltungsreform gehören natürlich auch die Budgetierung im Kita-Bereich sowie eine weitreichende Autonomie der einzelnen Kindergärten. Selbstverständlich ist dafür eine zusätzliche Schulung des Leitungspersonals notwendig. Das geforderte wirtschaftliche Verhalten wird am ehesten erreicht, wenn die Kindergärten beispielsweise von niedrigeren Energiekosten profitieren. Die Grünen schlagen deshalb vor, die Hälfte der eingesparten Summe der Kita zur freien Verfügung zu stellen."


Neues Kita- und Hortgesetz längst überfällig

Seit dem 1.1.99 müsste Bremen ein neues Kindergarten- und Hortgesetz haben, in dem unter anderem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz näher zu definieren wäre. Ein völlig unzureichender Verwaltungsentwurf wurde zurückgezogen; seitdem herrscht Funkstille. Anja Stahmann zu den Anforderungen der Grünen: "Dort muß festgeschrieben werden, dass der Rechtsanspruch eine sechsstündige Betreuung inclusive Mittagessen umfasst. Außerdem müssen Qualitätsstandards festgelegt werden, beispielsweise die maximale Gruppengröße und der Personalschlüssel. Eigentlich müßte die Sozialsenatorin ein großes Interesse daran haben, dort möglichst viel zu verankern, um den alljährlichen Quälnummern über Einsparungen im Kindergartenbereich Grenzen zu setzen. Um nicht missverstanden zu werden: Angesichts leerer Kassen ist es selbstverständlich, daß sorgsam mit den vorhandenen Mitteln umgegangen wird. Ich erwarte auch von den Kindergärten, dass sie regelmäßig überprüfen, ob es Einsparpotentiale gibt. Die Politik muss endlich die Standards vorgeben, damit dann die Kindergärten vor Ort weitgehend autonom nach der kostengünstigsten Lösung suchen."