Flüchtlingspolitik

Position der grünen Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft zur schnelleren Bearbeitung von Asylverfahren und zur Ausweitung der Reihe „sicherer Herkunftsstaaten“

Position der grünen Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft zur schnelleren Bearbeitung von Asylverfahren und zur Ausweitung der Reihe „sicherer Herkunftsstaaten“

Das Grundrecht auf Asyl ist ein kostbares Gut. Wir Grünen stehen seit unserer Gründung für eine humanitäre Flüchtlingspolitik ein und werden das auch aktuell tun. Wir stehen zu dem Recht jedes und jeder einzelnen, in Deutschland Asyl zu suchen und ein faires Verfahren zu bekommen. Die gegenwärtige Zunahme an Flüchtlingen stellt uns vor die große Herausforderung, schnelle Lösungen bei der Aufnahme, Unterbringung und Betreuung der Schutz-suchenden zu finden. In den letzten zwei Jahren haben wir bereits erhebliche Anstrengungen unternommen, um Flüchtlinge erfolgreich dezentral in den Stadt-teilen, sowohl in Übergangswohnheimen als auch in privaten Wohnungen, unterzubringen. Dies gelingt in Bremen – trotz teilweise schwierigerer Rahmenbedingungen – besser als in vielen anderen Bundesländern, vor allem dank der aufopferungs-vollen Arbeit des grün regierten Sozialressorts. Aktuell kann jedoch der Ausbau von regulären und angemessenen Unterkünften nicht mit der steigenden Zahl von Asyl-suchenden Schritt halten. Immer mehr Flüchtlinge müssen gegenwärtig in Notunterkünften wie Turnhallen oder Zelten untergebracht werden. Diese eigentlich unzumutbaren Umstände sind für uns Grüne ein schwer erträglicher, aber der Not geschuldeter Kompromiss, um Menschen überhaupt ein Dach über dem Kopf bieten zu können.

Schnellere Durchführung der Anerkennungsverfahren durch das BAMF

Vor diesem Hintergrund unterstützen wir die Bestrebungen, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) personell und organisatorisch so zu verstärken, dass die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Asylanträgen auf drei Monate sinkt, ohne das individuelle Recht auf eine sorgfältige Prüfung zu gefährden. Spätestens ab dem vierten Monat sollten die Sozialleistungen für die Dauer des Asylverfahrens vom Bund übernommen werden. Diese Maßnahmen würden Kosten der Länder und Kommunen reduzieren und die Ausnahmekapazitäten entlasten. Die schnellere Bearbeitung der Asylverfahren wäre eine große Hilfe bei der Bewältigung der jetzigen Situation und könnte vielen Flüchtlingen so manche Zumutung bei der Unterbringung ersparen. Zügige Verfahren ermöglichen außerdem eine schnelle Integration der anerkannten Asylsuchenden und ersparen es denen, die nicht bleiben können, monatelang in einer frustrierenden Warteschleife zu hängen. Nicht verschweigen wollen wir, dass sich aufgrund des generell zu rigiden deutschen Asylverfahrensrechts eine lange Bearbeitungsdauer in vielen Fällen für die Betroffenen aber auch vorteilhaft ausgewirkt hat. Wer schneller das Verfahren durchläuft, hat weniger Zeit, sich über Rechte und Pflichten zu informieren und weniger Gelegenheit, durch das Erbringen von Integrationsleistungen während der Wartezeit die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu schaffen. Wenn es nun zu mehr rechtskräftigen Negativentscheidungen der BAMF-Außenstelle Bremen kommt, wird es zwangsläufig auch mehr Ausweisungen und Abschiebungen in Bremen geben. Umso konsequenter muss Bremen auch zukünftig alle Spielräume für eine humanere Bleiberechtspraxis nutzen, die das Aufenthaltsgesetz den Ländern lässt. Wir Grüne werden darauf bestehen, dass die bestehenden Bremer Erlasse, die die Handschrift unserer Arbeit der letzten zwei Legislaturperioden tragen, in vollem Umfang erhalten bleiben und angewendet werden. Hierzu zählen vor allem die folgenden Regelungen, mit denen Bremen die bundesrechtlichen Spielräume im Sinne einer humanen Flüchtlingspolitik bereits sehr weit ausreizt:
  • Eigentlich Ausreisepflichtige erhalten eine Aufenthaltserlaubnis, wenn ihre soziale und wirtschaftliche Integration zu einer starken Verwurzelung im Bundesgebiet geführt hat, insbesondere durch Deutschkenntnisse, Familiensituation, Schul-besuch, Schulabschluss sowie Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse.
  • Wer ursprünglich als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling eingereist war, erhält als Volljähriger einen Aufenthaltstitel für die Dauer seiner Schul- oder Berufsausbildung, wenn er ansonsten keinen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel hätte.
  • Eigentlich Ausreisepflichtige, die sich in einer Berufsausbildung befinden, erhalten eine Duldung.
  • Soweit eine Ausreise unumgänglich ist, soll diese freiwillig erfolgen. Auf Zwangsabschiebungen wird nach Möglichkeit verzichtet.
  • Abschiebungshaft wird, so weit es irgend geht, vermieden. Stattdessen werden, wenn eine freiwillige Ausreise nicht erfolgt, mildere Mittel wie Meldeauflagen, räumliche Beschränkung des Aufenthalts, Teilnahme an einer Rückkehrberatung, Sicherheitsleistungen oder Garantien durch Vertrauenspersonen ergriffen.
  • Keinesfalls in Abschiebungshaft genommen werden besonders schutzbedürftige Personen: Minderjährige, Menschen ab dem vollendeten 65. Lebensjahr, Schwangere, Alleinerziehende oder Eltern mit minderjährigen Kindern sowie Menschen mit ärztlich attestierten oder offensichtlichen psychischen Erkrankungen oder anerkannter Schwerbehinderung.
  • Abschiebestopps gelten für Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo sowie für Menschen aus Syrien und dem Irak.
    Kritisch sehen wir den im Juni von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossenen Aktionsplan, soweit er eine priorisierte Bearbeitung von Asylanträgen aus Herkunftsländern mit besonders niedriger Schutzquote vorsieht. Das individuelle Recht auf eine unvoreingenommene Prüfung des Asylrechts gerät durch solche Vorgaben in Gefahr. Sinnvollere Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung wären eine Altfallregelung für lang andauernde Verfahren, Flüchtlingskontingente für offensichtlich unsichere Herkunftsstaaten sowie die Abschaffung des Widerrufsverfahrens.

Keine weiteren Länder zu sicheren Herkunftsländern erklären

Keine Option ist für uns die Ausweisung weiterer Westbalkanländer als sichere Herkunftsstaaten. Wir fordern den Senat auf, diesen Vorschlag im Bundesrat kategorisch abzulehnen. Es ist bereits völlig unklar, ob sich hierdurch überhaupt ein nennenswerter Rückgang von aussichtslosen Asylanträgen erreichen ließe. Statt-dessen bedarf es einer intensiven Aufklärung in diesen Ländern darüber, wie die reellen Chancen auf ein Bleiberecht sind, sodass nicht die Existenz vor Ort aufgegeben wird und eines Tages die Rückkehr ins Nichts erfolgen muss. Zudem hat Deutschland die Pflicht, sich viel stärker als bisher in der politischen Konsolidierung der Länder des Westbalkans zu engagieren. Vor allem aber müssen für Asylsuchen-de zukünftig andere Einwanderungsoptionen geschaffen werden, die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse beinhalten und einen „Spurwechsel“ in die Erwerbstätigkeit ermöglichen. Letztlich brauchen wir eine gesteuerte Einwanderungspolitik, die sowohl der menschenrechtlichen Verantwortung nachkommt als auch arbeitsmarktpolitische Interessen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels wahrnimmt. Bremen sollte daher im Bundesrat dem Antrag des Landes Rheinland-Pfalz zustimmen, ein Einwanderungsgesetz zu schaffen. Entscheidend für unsere Ablehnung des Instruments sicherer Herkunftsstaaten sind darüber hinaus sehr grundlegende Bedenken. Es kann nicht angehen, dass die Asylantragstellung für Schutzsuchende erschwert und die Beweislast umgekehrt wird, ohne auf die tatsächliche Diskriminierung in den Herkunftsstaaten Rücksicht zu nehmen. Durch die gesetzliche Einstufung von Ländern als „sichere Herkunftsstaaten“ wird letztlich Realität umdefiniert. Lesben, Schwule und Transgender werden im westlichen Balkan trotzdem weiter verfolgt. Auch Roma sind in ihren angeblich so sicheren Heimatländern nach wie vor massiver Ausgrenzung, Diskriminierung und zum Teil gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt. Sie sind fast überall von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Ihre Kinder dürfen vielfach nicht zur Schule, die Familien müssen nicht selten in ärmlichen Behausungen leben – ohne fließend Wasser oder andere sanitäre Einrichtungen. Roma-Frauen und -Kinder sind darüber hinaus besonders gefährdet, Opfer von Menschenhandel zu werden. Viel zu selten werden solche Diskriminierungen bei der Gewährleistung elementarer Menschen-rechte von den zuständigen Behörden und Gerichten in Deutschland anerkannt. Schon aus diesem Grund lehnen wir es auch ab, die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten von einer niedrigen Anerkennungsquote abhängig zu machen. Generell halten wir nichts von – ohnehin meist vergeblichen – Versuchen, Menschen in Not durch schlechtere Verfahrensbedingungen hierzulande von einer Flucht abschrecken zu wollen. Ebenfalls nicht in Frage kommt daher für uns, Bargeldleistungen an Flüchtlinge durch Sachleistungen oder Gutscheine zu ersetzen. Vielmehr halten wir an unserer jahrzehntelangen Forderung fest, die durch das Asylbewerberleistungsgesetz bedingte Schlechterstellung abzuschaffen und stattdessen alle Flüchtlinge nach der Erstaufnahme in die Sozialsysteme aufzunehmen. Bremen, 07.09.2015