Positionspapier von Zahra Mohammadzadeh, MdBB
Vielfalt, interkulturelle Öffnung und Mehrsprachigkeit
Vielfalt, interkulturelle Öffnung und Mehrsprachigkeit
Eine Gesellschaft, in der Gerechtigkeit und Chancengleichheit hohe Werte sind, muss sich zum Ziel setzen, allen Menschen gleiche Bildungschancen zu eröffnen. Eine solche "Bildung für alle" muss gleichzeitig einen hohen Qualitätsstandard anstreben. In der globalisierten Welt bedeutet das, dass die Vielfalt der heutigen Gesellschaft im Bildungssystem Berücksichtigung finden muss. Dies gilt für die unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen ebenso wie für den unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergrund, die Gender-Frage oder die verschiedenen Herkunftszusammenhänge. Es gilt aber auch insbesondere für die sprachlichen Voraussetzungen, die Bildungsteilnehmerinnen und Bildungsteilnehmer in Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung mitbringen. Deshalb ist die Frage, inwieweit Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung die Voraussetzungen und Lernbedürfnisse mehrsprachiger Menschen verinnerlichen und in realistische Unterrichtskonzepte ummünzen kann, von entscheidender Bedeutung.
Bildung muss auch die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln und sie in ihren Lern- und Arbeitsprozessen aufgreifen und weiterentwickeln. Für das Bildungssystem, dass nicht nur die zeitgemäßen Inhalte und Themen der heutigen demokratischen Gesellschaft zum Arbeitsstoff hat, sondern auch ihre Werte vermitteln soll, ergeben sich daraus große Herausforderungen. Während einerseits das Bildungswesen seinen gesellschaftlichen Auftrag ohne die Einhaltung hoher, auch sprachlicher Qualitätsansprüche nicht gerecht werden kann, ist sie andererseits gefordert, benachteiligte Gruppen und Minderheiten in die Bildungsprozesse zu integrieren und mitzunehmen. Auch die Mehrheit der Migrantinnen und Migranten gehören zu diesen Gruppen. Im Allgemeinen wird es bei ihnen um eine Ausbalancierung zwischen Deutsch und der jeweiligen Herkunftssprache gehen. Angesichts der Komplexität der Migrationsprozesse, denen Kinder und Jugendliche meist ohne eigene Entscheidung ausgesetzt sind, können aber auch Sprachen eine Rolle spielen, die neben Deutsch und der Herkunftssprache im Verlauf der Migration angeeignet wurden. Eingedenk dieser Problematik wollen wir uns für folgende Positionen zur Frage der Mehrsprachigkeit in der Bildung als Zielsetzungen grüner Politik einsetzen, um zur Verbesserung der bildungsmäßigen Integration beizutragen.
1. Sprache ist nicht nur Mittel der Kommunikation und der Vermittlung von Wissen und Erfahrung, sondern auch ein wichtiger Bestandteil der Identität der Menschen und der individuellen wie kollektiven gesellschaftlichen Teilhabe. In Deutschland fallen hierunter sowohl die so genannten Minderheitensprachen wie Dänisch, Sorbisch und Friesisch als auch die Herkunftssprachen der verschiedenen Migrantengruppen. Für ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft ist die gegenseitige Achtung anderssprachiger Mitmenschen und die Akzeptanz ihrer jeweiligen Sprachen als gleichwertig unabdingbar.
2. Sprache ist kein naturgegebenes Phänomen, dem die Bildung neutral gegenüber steht. Sie ist sowohl das wichtigste Medium, in dem Bildungsprozesse sich vollziehen, als auch spontanes Ausdrucksmittel von Meinungen, Gefühlen, Standpunkten, Interaktionen und Bewusstseinsäußerungen der in der Bildungssituation handelnden Menschen. Die im Klassenzimmer verwendeten Sprachen stehen zugleich im Zusammenhang sozialer Beziehungen zwischen Schülerinnen und Schülern unter einander, zwischen ihnen und den Lehrkräften und manchmal auch zwischen Lehrkräften unter einander. Zugleich unterliegen sie der Dynamik der sich innerhalb der Gesellschaft verändernden Kommunikationsformen und –Prozesse.
3. Bildung in Deutschland vollzieht sich im Rahmen eines mehrsprachigen sozialen Umfeldes. Es gibt heute in Deutschland außer bei privaten Einrichtungen keine Bildungseinrichtung mehr, deren Zielgruppe kulturell und damit sprachlich einheitlich wäre. Die Mehrsprachigkeit unserer Gesellschaft ist eine Tatsache. Angesichts dessen gilt es, die Bedeutung, die die verschiedenen Herkunfts- und Migrationssprachen für die Bildungsteilnehmer haben, zu respektieren. Wo es um des Integrationszielwillens notwendig ist, müssen sie aber auch angemessen berücksichtigt werden. Mehrsprachigkeit sollte nicht länger als Problem gesehen werden, sondern als ein selbstverständlicher Aspekt der Vielfalt der Gesellschaft und darüber hinaus als individuelle Kompetenz und Ressource für die gesellschaftliche Entwicklung.
4. Deutsch ist Unterrichtssprache. Der Status des Deutschen als das grundlegende sprachliche Medium zur Vermittlung der Lehrinhalte im deutschen Bildungssystem wird nicht in Frage gestellt. Daneben können in bestimmten curricularen und methodischen Aufgabenstellungen andere Sprachen als Unterrichtssprache auftreten. Dies ist schon jetzt bei der Vermittlung von Fremdsprachen im deutschen Bildungssystem der Fall. Die Entscheidung, außerhalb des Fremdsprachenerwerbs eine andere Sprache als Deutsch als Unterrichtssprache einzusetzen, kann aber ebenfalls aufgrund curricularer, didaktischer oder methodischer Überlegungen angezeigt sein. In der Regel wird es sich dabei um die Herkunftssprachen von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien bzw. von erwachsenen Bildungsteilnehmern mit Migrationshintergrund handeln.
5. Unterricht in Migrationssprachen beinhaltet in erster Linie den Einsatz der Herkunftssprache von Kindern und Jugendlichen als Unterrichtssprache bei der Vermittlung von anderen Lehrstoffen bzw. Fächern. Darüber hinaus kann die Herkunftssprache aber auch als Unterrichtsfach in Erscheinung treten. Insbesondere bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter kann ein Bedarf bestehen, in der eigenen Herkunftssprache unterrichtet zu werden. In einer Gesellschaft der Vielfalt ist es Aufgabe des Bildungssystems, für die Abdeckung eines solchen Bedarfes zu sorgen. Die Bereitstellung von Unterricht in der Herkunftssprache - als vermittelnde Unterrichtssprache wie auch, wo erforderlich, als Gegenstand des Unterrichts - ist ein bedeutendes Element des Qualitätsstandards, den unser Bildungssystem anstreben sollte.
6. Angesichts knapper Ressourcen ist zu betonen, dass es zwischen Deutsch und den Herkunfts- bzw. Migrationssprachen keine Ressourcenkonkurrenz geben darf. Herkunfts- und Migrationssprachen dürfen dem Deutschen auch keinesfalls seinen Platz als grundlegende Unterrichtssprache streitig machen. Der Einsatz von Herkunfts- und Migrationssprachen im deutschen Bildungssystem kann nur komplementär erfolgen, wenn er sinnvoll und nicht integrations- und bildungspolitisch kontraproduktiv sein soll.
7. In diesem Sinne unterstützen wir den Einsatz von Herkunftssprachen in Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung als wichtiges Mittel, die Qualität des Bremer Bildungssystems zu verbessern und dabei auf die vorhandenen sprachlichen Kompetenzen der Bildungsteilnehmer in den verschiedenen Lebensaltersgruppen zurückzugreifen. Auf allen Ebenen des Bildungssystems kann das Prinzip der Mehrsprachigkeit als ein wichtiges Mittel angesehen werden, kulturelle, soziale und genderbedingte Ungleichheiten zu bekämpfen. Darüber hinaus ist Mehrsprachigkeit eine Forderung an das Bildungssystem, die sich aus dem integrationspolitisch gebotenen Erfordernis der interkulturellen Öffnung ergibt. Die Förderung des Einsatzes qualifizierter Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrkräfte mit Migrationsbiographie erhält vor diesem Hintergrund zusätzliche Priorität.