Corona-Pandemie: Regierungserklärung und Debatte

Rede des Fraktionsvorsitzenden Björn Fecker vom 13. Mai

"Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

in diesen Tagen ist oft von einer sogenannten „neuen Normalität“ die Rede. Doch was wollen uns die Nutzer dieses Ausdrucks eigentlich genau damit sagen? 

Nun erst einmal ist es aus meiner Sicht ein Versuch, die harte Wahrheit etwas hübscher auszudrücken. Ob nun „neue Normalität“ oder knallharte Realität: Wir werden mit dem Virus noch sehr lange leben müssen. Damit verbunden ist auch die unpopuläre Botschaft, dass Teile der Einschränkungen unser Leben auch in den kommenden Wochen und vielleicht Monaten begleiten werden. 

Dabei muss uns klar sein, dass die Lockerungen der vergangenen Wochen ein Drahtseilakt sind. Und deswegen muss in die Freude über zurückgewonnene Handlungsspielräume auch der Appell an die eigene Verantwortung folgen. Wir alle entscheiden durch unser Verhalten darüber, wie sich die kommenden Monate gestalten werden. Wir alle tragen Verantwortung. Als ich zuletzt hier an dieser Stelle über die Lage unseres Bundeslandes redete, standen wir alle noch unter dem Eindruck von Militär, das massenweise Leichen aus italienischen Städten abtransportierte oder den Bemühungen der spanischen Regierung durch die Nutzung großer Sporthallen, die Behandlungskapazitäten im Land deutlich aufzustocken. Meine Damen und Herren, das ist alles noch nicht allzu lange her. Und es sollte uns allen Mahnung sein - Mahnung an uns selbst und für unser eigenes Verhalten.

Ja, es stimmt: Deutschland ist insgesamt bisher deutlich besser durch die Krise gekommen, als viele andere Länder auf der Welt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zuerst gebührt all denen unser Dank, die in vorderster Linie in den Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeheimen auch unter Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit Großartiges geleistet haben. Die gesellschaftliche Anerkennung gerade im Care-Bereich ist in den vergangenen Wochen ganz sicher noch einmal deutlich gestiegen. Mit dem Pflegebonus hat unsere Sozialsenatorin Anja Stahmann gemeinsam mit dem Bund ein wichtiges Zeichen gesetzt. Doch Sie und ich wissen genau, dass dies nur ein erster Schritt sein kann. Es geht insgesamt um eine Aufwertung der Pflegeberufe, um Tarifbindung, um Allgemeinverbindlichkeit. Die kommenden Monate werden zeigen, wie ernst der Beifall der Bundesregierung in diesen Punkten wirklich war.  

Dass wir insgesamt bisher besser durch die Krise gekommen sind als andere Länder, hat sicherlich auch mit dem politischen Zusammenhalt unserer Demokratie zu tun. Die Bundesregierung und die Landesregierungen haben gemeinsam besonnen aber auch entschlossen gehandelt. Und da alle demokratischen Kräfte in irgendwelchen Konstellationen Bestandteil dieser Entscheidungen waren, kann man durchaus von einer ganz großen Koalition sprechen. Und auch der oftmals so gescholtene Öffentliche Dienst hat in der Krise seine Stärke bewiesen, zuvorderst natürlich in den Gesundheitsämtern, aber auch beim Ordnungsdient oder den öffentlichen Gesellschaften wie beispielsweise der BSAG.

Die Bevölkerung selbst hat einen großen Anteil an der Eindämmung der Pandemie. Der Großteil der Menschen in Bremen und Bremerhaven haben den Ernst der Lage erkannt und sich verantwortlich und hilfsbereit gezeigt. Das ist nicht selbstverständlich, denn gerade unsere Gesellschaft steht für Freizügigkeit. Aber individuelle Freiheit bedeutet in diesen Zeiten auch mehr denn je Verantwortung. 

Meine Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, dass mich einige Verhaltensweisen in den vergangenen Wochen aber auch mit den Kopf haben schütteln lassen. So sehr ich auch das gemeinsame Agieren der Länder gelobt habe, so haben doch gerade die letzten zwei Wochen mehrere Länderchefs die Tagesschau-Meldung einem gemeinsam abgestimmten Vorgehen vorgezogen. Ich halte den Weg unseres Senats, nämlich größtmöglich im gemeinsamen Kanon der Länder zu bleiben, für den richtigen. Für Profilierungssucht ist in der Krise kein Platz.

Die vom Senat betriebenen Lockerungen sind aus unserer Sicht auch gerade im Schulbereich richtig. Und auch die Öffnung von Geschäften und der Gastronomie unter Einschränkungen sind für unsere Volkswirtschaft wichtig, verlangen uns allen aber auch ein hohes Maß an verantwortlichem Umgang ab. Auch der Wunsch, zukünftig seine Verwandten wieder in Pflegeheimen besuchen zu können, ist nachvollziehbar. Die Isolation von der eigenen Familie ist eine hohe Belastung. Gerade aber weil nun eine Menge Lockerungen stattfinden, sollten wir die Lage gut im Blick behalten. Dazu gehört für uns Grüne auch eine Ausweitung der Testungen. Gerade angesichts ungenutzter Testkapazitäten sollten Pflegekräfte, Bewohner*innen von Altenheimen und Ärzte in regelmäßigen Abständen getestet werden.

Absolut kein Verständnis habe ich für die Geschehnisse des vergangenen Wochenendes. Deutschlandweit demonstrierten tausende Menschen für ein Ende der Beschränkungen. Das muss man in einer Demokratie ertragen. Auch Dummheit ist in weiten Teilen durch die Meinungsfreiheit noch gedeckt, aber diese Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass man jeden Blödsinn widerspruchslos erdulden muss. Widerspruch zu Fake-News und Verschwörungstheorien ist im Gegenteil dringend notwendig. Auch bei einem anderen Punkt sind wir hier im Parlament ganz klar: Antisemitismus und Hetze müssen durch den Rechtsstaat konsequent verfolgt werden und erfahren auch in Krisenzeiten keine Toleranz!

Meine Damen und Herren, diese Pandemie hat einschneidende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft. Wir werden nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. 

Der Senat hat deswegen zum Umgang mit den Folgen der Corona-Pandemie den sogenannten Bremen-Fonds beschlossen. Unser Bundesland wird 1,2 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Und auch, wenn die Debatte über den Haushalt insgesamt erst in der kommenden Sondersitzung befasst wird, lassen Sie mich auf einige für uns Grüne zentralen Aspekte eingehen. Das beginnt erst einmal mit der Feststellung, dass wir hier einen mächtigen Kredit für die Zukunft aufnehmen. Die Schulden von heute werden die Haushalte von morgen belasten. Wir halten diese Kreditaufnahme trotzdem für richtig, sehen aber auch die Verpflichtung, das Geld gewissenhaft und erst nach gründlicher parlamentarischer Beratung freizugeben. 

Bei aller Fokussierung auf die Wirtschaft dürfen wir nicht vergessen: Diese Krise hat auch massive soziale Auswirkungen! Sie verschärft die sozialen Unterschiede und wir laufen Gefahr, Menschen zu verlieren. Wir haben mit der Entscheidung der Schließung unserer Schulen und KiTas die entscheidende soziale und staatliche Stützleistung eingestellt. Diese Schließungen waren richtig, um es auch sehr deutlich zu sagen, aber nun können wir bitte nicht so tun, als könnten wir nahtlos in diesen Bereichen einfach so fortsetzen. Und auch wenn wir bei der digitalen Wissensvermittlung weiter sind als andere Bundesländer heißt das nicht, dass der Stoff am anderen Ende der Leitung einfach verarbeitet werden kann. Wenn sich vier Kinder ein Smartphone teilen, wenn daheim keine Chance auf ruhige Rückzugsräume besteht, dann kann das digitale System noch so gut sein, es ersetzt nicht den normalen Unterricht. Wenn wir es ernst meinen mit dem Versprechen: „Wir werden niemanden allein lassen“, dann bedeutet das auch massive Unterstützung für die Bekämpfung der sozialen Folgen dieser Krise! 

Wir brauchen ein verstärktes Engagement für den Umgang mit den abgehängten Schülern. Wir müssen im Bereich der Sprachförderung die vergangenen Wochen wieder aufholen und noch vieles mehr. Das ist auch eine notwendige Zukunftsinvestition meine Damen und Herren!

Zu der sozialen Frage gehört für uns Grüne auch die Reform des Kurzarbeitergeldes. Da ist die Bundesregierung aus unserer Sicht auf halber Strecke stehen geblieben. Gerade Menschen mit niedrigem Einkommen brauchen eine Erhöhung vom ersten Tag an. 

Natürlich müssen wir aber auch in die wirtschaftliche Entwicklung investieren. Es war richtig, zu Beginn der Krise erst einmal eine Menge Soforthilfen zu organisieren und daran auch keine großen Ansprüche zu stellen. Hier ging es konkret um die Erhaltung von Firmen und die Rettung von Arbeitsplätzen. Nun sind wir aber in einer Phase, in der es um die Ausrichtung der Maßnahmen geht. Und da sage ich Ihnen sehr klar: Wir wären doch verrückt, Millionen in die Hand zu nehmen und nicht gleichzeitig die existenzielle Frage unserer Gesellschaft, den Klimawandel, mit in den Blick zu nehmen. Und wenn die Bundesregierung allen Ernstes über Abwrackprämien diskutiert, dann ist das eine verkehrspolitische, wirtschaftspolitische und klimapolitische Bankrotterklärung! Zielsetzung muss es doch in allen Industriesektoren sein, jetzt in die nachhaltige Sicherung von Arbeitsplätzen zu investieren, indem man die notwendige ökologische Modernisierung vorantreibt. Zielsetzung muss es auch sein, unseren lokalen Einzelhandel zu stützen, beispielsweise in dem die City attraktiver wird und bei einem bundesweiten Konjunkturprogramm im Baubereich gleich eine ambitionierte energetische Gebäudesanierung mit voran zu treiben. Wir wollen kein Zurück in die Vergangenheit, wir wollen eine grüne, eine sozialverträgliche Wirtschaft.

Diese Debatten müssen wir jetzt in diesem Parlament und in den Ausschüssen und Deputationen führen. Wir müssen die Konjunktur stützen und unser Klima schützen. Das wird neben der weiteren Eindämmung der Pandemie eine der zentralen Aufgaben der kommenden Wochen und Monate sein."